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BUCHBESPRECHUNG/253: Gerd Schumann - Patrice Lumumba (Geschichte Afrikas) (Gerhard Feldbauer)


Patrice Lumumba

Ein antiimperialistischer Kämpfer für die Freiheit und Unabhängigkeit seines Volkes
US-Präsident Dwight D. Eisenhower ordnete an, den "Störenfried" zu beseitigen

von Gerhard Feldbauer, 2. April 2024


Der PapyRossa-Verlag hat eine Biographie des Publizisten Gerd Schumann über Patrice Lumumba herausgebracht. Vor dem Hintergrund des Kampfes um die Rohstoffe der am 30. Juni 1960 formal unabhängig gewordenen belgischen Kolonie Kongo schildert er das Schicksal des ersten Ministerpräsidenten der Demokratischen Republik Kongo, der nach einem Auftrag US-Präsident Dwight D. Eisenhowers, den "Störenfried" zu beseitigen, unter Mitwirkung der CIA von dem belgischen Geheimdienst und einheimischen Helfern am 17. Januar 1961 umgebracht wurde.

Am 11. Juli spaltete sich das rohstoffreiche Katanga von der Republik Kongo ab und verbündete sich im August als "Staat Katanga" mit der ebenfalls abtrünnigen Diamantenprovinz Süd-Kasai zu einer "Föderation", die etwa ein Viertel des Staatsterritoriums einnahm. Für diese Pläne wurde der berüchtigte Moïse Tschombé angeworben, der aus feudalen Stammesschichten Katangas kam und als reicher Plantagenbesitzer und Großhändler ein typischer Kompradorenbourgeois war. Er hatte bereits im Juli 1959 eine Confédération des Associations tribales du Katanga - CONAKAT (Föderation der Stammesvereinigungen von Katanga), einen Zusammenschluss der Häuptlinge und reichen Schichten der Provinz und der aus dem Norden des damaligen Rhodesiens stammenden Lunda, gegründet.

Es ging darum, die reichen Kupfer-, Uran- und Goldminen der Kontrolle der nationalrevolutionären Zentralregierung von Patrice Lumumba zu entziehen und die Besitzansprüche der Monopole der westlichen Konzerne zu sichern.

Im September wurde der Ministerpräsident von Truppen unter Oberst Mobutu mit Unterstützung von Kreisen in Belgien und den USA gestürzt. Seinem Sturz sah Präsident Joseph Kasavubu tatenlos zu. Er war Vorsitzender einer seit 1950 bestehenden Vereinigung ABAKO zur Pflege der Sprache der Stämme der Bakongo, der Intellektuelle sowie bourgeoise und feudale Vertreter der Bakongo, die für eine Föderation autonomer Provinzen eintraten, angehörten. Die hierdurch eingeleitete proimperialistische Politik wurde von ihm maßgeblich mitgetragen.

Im November gelang Lumumba die Flucht in die Provinz Katanga, wo eine Mehrheit der nationalen Armee noch zu seiner Regierung stand. Dort fiel er aber Mobutus Truppen in die Hände, der ihn den aufständischen Führern von Katanga übergab. Sie überließen ihn den genannten Geheimdienstkreisen, die ihn am 17. Januar 1961 ermordeten.

Der Kongo war mit seinem enormen Rohstoffreichtum, aber auch seiner geographischen Lage im Herzen des Kontinents von strategischer Bedeutung. Er belegte in der Förderung von Kupfer, Kobalt, Zink, Zinn und Diamanten einen der vorderen Plätze in der Welt und verfügte über große Vorkommen an Uran, Radium, Silber und Kadmium, Germanium, Mangan, Eisenerz und Gold. An der belgischen Union Minière du Haut Katanga, dem damals größten kongolesische Rohstoffe ausbeutenden belgischen Konzern, waren u. a. aus den USA Rockefeller, Morgan und Guggenheimer sowie die britische Tanganijka Concession Ltd. beteiligt. Ein ausschlaggebender Faktor war für führende Kaitalkreise angesichts der 1960 bevorstehenden Entlassung des Kongo in die staatliche Unabhängigkeit, sich den Zugriff auch auf die atomaren Rohstoffe aus Katanga (dem späteren Shaba) zu sichern. Wie aus einem Bericht von Jules Gérard-Libois "Sécession au Katanga" (Brüssel 1966) hervorging, plante Belgien bereits 1959 für den Fall, dass "radikale" oder auch nur des "Radikalismus verdächtige Kräfte" in Leopoldville ans Ruder kämen, die Abspaltung Katangas.

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung des Kongo war einem erdrückenden Kolonialjoch unterworfen, das teilweise selbst das französische, britische oder portugiesische übertraf. Zwischen 1947 und 1957 befanden sich von 13 Millionen Einwohnern jährlich zwischen 180.000 und 215.000 in Gefängnishaft. Die Hälfte der einheimischen Bevölkerung war an Tuberkulose erkrankt, die jährlich 100.000 Todesopfer forderte. 350.000 Kongolesen hatten Lepra. Das Land hatte 1959 nur 463 Ärzte, einschließlich der in ausländischen Gesellschaften und Missionsstationen tätigen.

Die engen Schranken, die dem Besitzerwerb auferlegt waren, behinderten das Entstehen einer einheimischen Bourgeoisie. An den beiden erst 1956 und 1958 in Leopoldville und Elisabethville (dem späteren Kinshasa bzw. Lubumbashi) gegründeten Hochschulen gab es nur 550 Studenten, von denen aber fast die Hälfte Europäer waren. Noch 1960 gab es nur 30 kongolesische Hochschulabsolventen. Von höheren Ämtern in der Kolonialverwaltung waren Kongolesen ausgeschlossen. Auf der mittleren Ebene waren 1958 von 4539 Stellen drei von Kongolesen besetzt. Von 1948 bis 1955 hatten 884 Kongolesen in ihrem Land Bürgerrechte erhalten.

Damit waren die sozialen und politischen Bedingungen des antikolonialen Befreiungskampfes am Vorabend der Unabhängigkeit gering entfaltet. Das kam besonders darin zum Ausdruck, dass bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre hinein keine politischen Parteien oder Befreiungsorganisationen entstanden waren.

Der 1925 in bäuerlichen Verhältnissen geborene Lumumba war nach dem Besuch einer Missionsschule Angestellter der Steuerbehörde und danach der Postverwaltung. 1957 wurde er kaufmännischer Direktor einer Brauerei in Leopoldville, was ihm ermöglichte, in der Hauptstadt politisch aktiv zu werden. Als Autodiktakt befasste er sich mit Philosophie, Recht, Ökonomie und Verwaltungsfragen. Er schrieb für mehrere afrikanische Zeitungen, die sich den Unabhängigkeitsforderungen öffneten. Lumumba, den Jean-Paul Sartre als den "schwarzen Robespierre" würdigte, galt als ein außerordentlich intelligenter, unbestechlicher und unbeirrbarer Sohn seines Landes. Zunächst vom Christentum und der bürgerlichen Demokratie beeinflusst, gelangte er in der Auseinandersetzung mit der Kolonialmacht zu antiimperialistischen Positionen, die er konsequent vertrat.

Die von ihm im Oktober 1958 gegründete Befreiungsbewegung Mouvement National Congolais (MNC) vertrat in einem Aktionsprogramm in Grundfragen antiimperialistische Positionen, sprach wichtige soziale und nationale Fragen eines unabhängigen Kongo an, öffnete sich aber auch reformerischen Formen der Entwicklung. Schon im April 1959 begann der Aufbau eines Jugendverbandes, einer Frauenorganisation und eines Bauernverbandes.

Nach der Ermordung Lumumbas ging Belgien zur militärischen Intervention über, hinter die sich die USA und weitere NATO-Staaten stellten, was zu einem Bürgerkrieg mit über einer halben Million Toten führte. Erst nach fünf Jahren gelang es der Allianz aus westlichen Staaten und der einheimischen Reaktion, die national-revolutionären Kräfte zu zerschlagen. Das kongolesische Volk wurde damit seines Rechts auf freie Wahl des Entwicklungsweges beraubt. Ihm wurde mit militärischer Gewalt ein prokapitalistisches System aufgezwungen. Mit dem Machtantritt General Mobutus als Präsident - sein langer Name lautete Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu wa Zabanga ("der Krieger, der von Eroberung zu Eroberung schreitet, ohne Angst zu haben") - wurde im November 1965 dieser Weg abgesichert und der Einheitsstaat wiederhergestellt.


Gerd Schumann: Patrice Lumumba
PapyRossa, Köln 2024, 135 S., 12 Euro
ISBN 978-3-89438-829-4

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Quelle:
© 2024 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 5. April 2024

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