Christoph Hein
"Das Narrenschiff"
von Klaus Ludwig Helf, Mai 2025
Christoph Hein, im April 81 Jahre alt geworden, hat einen voluminösen, dramatisch geschickt aufgebauten und spannend geschriebenen Gesellschaftsroman über die DDR veröffentlicht. Er beginnt - nach einem kurzen Vorspann - am 1. Mai 1945 (Ankunft deutscher Kommunisten aus Moskau) und endet im Januar 1991, kurz nach der Vereinigung (Abschied und Aufbruch). Christoph Hein lässt uns eintauchen in eine Gesellschaft im hoffnungsvollen Werden und tragischen Scheitern an ihren eigenen hochgesteckten Idealen. Dreh- und Angelpunkt des Epos sind die Mitglieder und Freunde der Familien Goretzka und Emser, deren jeweilige männlichen Familienoberhäupter Johannes und Karsten aus dem Moskauer Exil zurückgekehrt, herausragende Positionen im neu gegründeten Staat übernehmen.
Beide werden trotz ihrer grundsätzlichen Treue zur regierenden SED und zu dem jeweils wechselnden Kurs der herrschenden Staatsideologie im fein gesponnenen Machtnetzwerk der Intrigen auf das Abstellgleis gestellt. Verbittert blickt der als Stalinist und Dogmatiker abgestempelte Johannes Goretzka am Ende seines Arbeitslebens zurück:
"Die sogenannten Aufbaujahre waren aus seiner Sicht makellos und erlaubten die schönsten Hoffnungen für die Zukunft.... Er verachtete, ja, hasste diese blasierten jungen Leute sogar, die wohl ein Parteibuch im Jackett hatten, aber oft ganz offensichtlich sich nie, aber auch niemals für ihren Staat, ihre Partei und deren Ideale einsetzen würden." (S. 612/613)
Erfrischend anders wird der weniger ideologisch versteinerte Kulturmensch Benaja Kuckuck geschildert, der auch das Bild vom Schiff voller Narren als Metapher für die DDR-Gesellschaft einführt, die sich offensichtlich auf einem Schlingerkurs auf den Abgrund zubewegt.
Christoph Hein entfaltet im auktorialen Stil und nüchtern-sachlich, manchmal ironisch gebrochen ein großes und dichtes Panorama von Lebensläufen und Schicksalen vieler unterschiedlicher Figuren entlang der geschichtlichen und politischen Wegmarken der Zeit. Wie bereits in seinen anderen Werken brilliert er auch hier wieder als genauer und tiefgründiger Beobachter und Chronist der DDR.
Christoph Hein
"Das Narrenschiff"
Suhrkamp Verlag Berlin 2025
750 Seiten, 28 Euro
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Quelle:
© 2025 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 9. Mai 2025
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