Gerhard Feldbauer
Giorgia Meloni und der italienische Faschismus
Cover: © PapyRossa Verlag
"Der Faschismus ist eine Ausgeburt des Kapitals, und um der Festigung seiner Macht willen ist er bereit, jedes beliebige Mittel einzusetzen - von grausamer Gewalt bis zur geschickten Betäubung der Massen ... mit einem giftigen ideologischen Betäubungsmittel." Diese Worte schrieb Julius Fucik, kurz bevor ihn die Hitlerfaschisten hinrichteten. (S. 15) Indem Gerhard Feldbauer dieses Zitat dem ersten Kapitel des Buches voranstellt, das von der Karriere Giorgia Melonis handelt, weist er darauf hin, dass der Faschismus den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen wesensverwandt ist - als ein Instrument zur Krisenbewältigung, sollten die Widersprüche der Klassengesellschaft vehement zum Ausbruch drängen. Für einflussreiche Kreise der bürgerlichen Gesellschaft bleibt der ihrem Schoß entspringende Faschismus dauerhaft eine Option rechtsextremer Ermächtigung, um das Gewaltmonopol des Staates, die kapitalistische Eigentumsordnung und die ihr entsprechenden Produktionsverhältnisse um den Preis reaktionärster Verwerfungen und grausamster Repression zu sichern und fortzuschreiben. Zugleich unterstreicht der Autor mit dieser Zitation den skupellosen Drang zur Macht, dem die extreme Rechte in mannigfaltigen Erscheinungsformen und unter verschlagenen Täuschungsmanövern zur Durchsetzung zu verhelfen trachtet.
So ist der Faschismus, wie ihn Feldbauer auslotet, ein historisch fortgeschriebenes gesellschaftliches Instrument und Reservoir, das keineswegs einer finsteren, aber erfolgreich bewältigten Epoche der Vergangenheit zugeschrieben und mithin als heute noch relevante Gefahrenlage entsorgt werden kann. In Italien ist er in alter Gesinnung und zu Tarnzwecken notdürftig in neuem Gewand auf dem Wege demokratischen Prozederes an die Regierungsmacht zurückgekehrt. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 25. September 2022 setzte sich die aus Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni, der Lega Matteo Salvinis und der Forza Italia des inzwischen verstorbenen Silvio Berlusconi gebildete rechtsextreme Allianz mit rund 43 Prozent durch. Dabei waren die Brüder Italiens mit 26 Prozent die eindeutig führende Kraft des Bündnisses, während die Lega mit 8,8 und die FI mit 8,1 Prozent deutlich dahinter rangierten. Bei den Fratelli d'Italia - der Name entspricht der ersten Textzeile der italienischen Nationalhymne - handelt es sich um eine allenfalls oberflächlich verschleierte Nachfolgepartei vorangegangener faschistischer parteipolitischer Strukturen. Als Parteisymbol übernahm die Brüderpartei bezeichnenderweise die schon von den Vorgängern im Logo geführte Flamme über einem schwarzen Sarg, die den Geist Mussolinis verkörpern soll. Als Meloni 2022 aufgefordert wurde, auf die Flamme im Parteilogo zu verzichten, weigerte sie sich mit den Worten: "Wir sind stolz darauf." (S. 155)
Dr. phil. Gerhard Feldbauer habilitierte sich in italienischer Geschichte und war langjähriger Pressekorrespondent in Italien und Vietnam. Er arbeitet als freiberuflicher Publizist, hat eine Reihe von Büchern zur Geschichte Italiens vorgelegt und veröffentlicht regelmäßig Beiträge insbesondere zu aktuellen Entwicklungen in diesem Land. Die Publikationen des Autors zeichnen sich stets durch fundierte Sachkenntnis, eine entschiedene Positionierung wie auch eine Fokussierung auf die wesentlichen Entwicklungsstränge und Zusammenhänge aus. Dieses Zusammenspiel langjähriger wissenschaftlicher Forschung, ergiebiger journalistischer Recherche und einer angemessenen Aufbereitung, welche die Kapazität der Leserschaft nicht aus dem Blick verliert, bürgt für eine Aufklärung und qualitative Bereicherung zumal hinsichtlich der aus deutscher Sicht oftmals verwirrenden politischen Entwicklungen in Italien. Dazu sei in diesem Zusammenhang angemerkt, wie verständnisfördernd die im Anhang beigefügten Erläuterungen zu den politischen Parteien sind, die nach dem Zusammenbruch des alten Parteiensystems 1991/92 als Formationen entstanden sind.
Der Autor arbeitet die ungebrochene Kontinuität faschistischer Präsenz in Italien heraus, welche die Geschichte des Landes auf besondere Weise geprägt hat. Wenngleich das vom Nationalen Befreiungskomitee verhängte Todesurteil gegen Mussolini am 28. April 1945 von einem Partisanenkommando vollstreckt worden war, gelang es dem italienischen Faschismus nach Kriegsende, sich als Bewegung weitgehend intakt über seinen politischen und militärischen Zusammenbruch hinwegzuretten. Gefördert von der US-Besatzungsmacht, der es um die Verhinderung einer linksdominierten Regierung und um die Sicherung der Südflanke der künftigen NATO ging, wurde der Faschismus von rechten bourgeoisen Kreisen als Reserve im Krisenfall am Leben gehalten. Das erfolgte dann erstmals 1994 unter Berlusconi mit dem Führer des 1946 als Nachfolger der Mussolini-Partei konstituierten Movimento Sociale Italiano (MSI), Gianfranco Fini, dem Nachfolger des MSI-Gründers Giorgio Almirante. Diese Situation trat nach dem Rücktritt des früheren EZB-Bankers Mario Draghi, der als Garant der neoliberalen Herrschaft des Kapitals und Statthalter Brüssels in Rom galt, 2022 abermals ein. (S. 10)
Eine Woche vor dem hundertsten Jahrestag von Mussolinis "Marsch auf Rom", der Machtübergabe an den "Duce", trat im Herbst 2022 die Führerin der Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni, ihr Amt als Ministerpräsidentin Italiens an. Ihr mehrheitlich aus Mussolini-Anhängern gebildetes Kabinett wurde in linken Medien als Regierung "reueloser Faschisten" charakterisiert. Feldbauer geht auf Melonis "unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus" ein, indem er ihren Aufstieg von der faschistischen Jugendfront bis ins höchste Regierungsamt nachzeichnet, der von expliziten Bekenntnissen zu den Verbrechen Mussolinis, einer zutiefst rassistischen Gesinnung und Verherrlichung von Diktaturen geprägt war. Sie setzte sich als Hardlinerin in einem rechtsextremen Spektrum durch, indem sie noch radikaler und kompromissloser als etwa ein Berlusconi oder Salvini eine ungebrochene faschistische Tradition beschwor und hochhielt.
Nicht zuletzt aber war Meloni bislang bestens im Stande, die jeweiligen Machtverhältnisse klar zu erkennen und zu ihren Gunsten auszunutzen, selbst wenn es dazu einer vorgeblichen Kehrtwende ihrer öffentlich vorgehaltenen Auffassungen bedurfte. Es zeugt von einer ausgesprochenen Ignoranz und Fehleinschätzung hiesiger Medien, wenn der Aufstieg Melonis zunächst auf oberflächlichste Weise als bloßes Politspektakel skandalisiert wurde, um nach erfolgter Wahl mit dem beschwichtigenden Hinweis abzuwinken, die neue italienische Regierungschefin habe sich offensichtlich bereits die Hörner abgestoßen und werde in Erfüllung ihres Amtes auf eine konservativ-bürgerliche Politikerin zurückgestutzt, die sich den gängigen administrativen Sachzwängen und Gepflogenheiten fügen müsse.
Feldbauer weist demgegenüber anhand diverser Beispiele nach, dass Meloni mit großem taktischen Geschick allzu gefährliche Klippen umschiffte, indem sie frühere Aussagen und Positionen schlichtweg leugnete, wo ihr dies aus taktischen Erwägungen geboten erschien. So behauptete sie in ihrer ersten Regierungserklärung, nie mit dem Faschismus oder antidemokratischen Regimes sympathisiert zu haben. Sie habe die Rassengesetze von 1938 immer als Tiefpunkt der italienischen Geschichte betrachtet, als eine Schande, die das Volk für immer prägen werde. Sie verkündete ihre Verbundenheit mit dem jüdischen Volk und erklärte, Juden seien ein grundlegender Teil der italienischen Identität. Ein Austritt aus der EU war für sie plötzlich kein Thema mehr, allenfalls gewisse Reformen mahnte sie an, so dass sie mit Rückendeckung aus Brüssel Regierungschefin werden konnte.
Wer jüngst Giorgia Meloni, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte Seite an Seite beim Besuch in Tunesien sah, wo sie dem regierenden Autokraten Kais Saied mit vereinten Kräften einen Pakt vorgelagerter europäischer Grenzpolizei schmackhaft machten, mochte irrtümlich schlussfolgern, die Regierungschefin Italiens erweise sich allen Unkenrufen zum Trotz längst als moderate und eingehegte politische Führungskraft. De facto hat sie jedoch im Schulterschluss mit der forcierten Abschottungspolitik der EU ihr eigenes rassistisches Projekt des Kriegs gegen geflohene Menschen erheblich weitreichender und reibungsärmer bedient, als es ihr nach wie vor in dieselbe Kerbe schlagender Infrastrukturminister Salvini je vermochte. Meloni braucht sich an dieser Front nicht zum eigenen Schaden zu exponieren, da sie erfolgreich die Welle EU-europäischer Abwehr und Vernichtung von Flüchtlingen reiten kann.
In einer taktischen Volte mutierte Meloni zur zuverlässigen Atlantikerin, Freundin der EU und nicht zuletzt Unterstützerin der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland. Dabei erfreuen die Waffenlieferungen an Kiew auch die heimische Rüstungsindustrie, während andere Kapitalfraktionen die gravierenden negativen Folgen der Sanktionen gegen Moskau insbesondere auf dem Energiesektor bitter beklagen. Auch scheint eine Mehrheit der Bevölkerung, die unter den Krisenfolgen zu leiden hat, baldige Verhandlungen im Ukrainekrieg anzumahnen. Feldbauer untersucht denn auch die aktuellen Aussichten, die Regierung zu Fall zu bringen, wobei er nicht umhin kann, ein eher düsteres Bild zu zeichnen, ohne deshalb auf den antifaschistischen Geist auch nur im mindesten zu verzichten.
Zentrales Feindbild des Faschismus bleiben jegliche Bestrebungen, sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung zur Wehr zu setzen, mögen deren Urheber profitgetriebener, patriarchaler oder rassistischer Provenienz sein. Wie eingangs zitiert, steht den Faschisten in Verfolgung ihrer Ziele jedes beliebige Mittel zu Gebote. So wenig der "Duce" als identischer Wiedergänger auferstehen wird, so wenig sind faschistische Ideologie und Präsenz in neuem Gewand gebannt. Giorgia Meloni hat reichlich Kreide gefressen, um allzu riskante Kollisionen zu meiden und ihre Gegner zu täuschen. Frei nach dem Motto ihrer Bewegung, "der Vergangenheit niemals abschwören, in die Zukunft schauen", erschöpft sie sich nicht in marginaler Nostalgie, sondern trägt die Flamme des "Duce" in zeitgemäßer Innovationsgewalt voran. Die Herrschaft des Menschen über den "Untermenschen" als Wesenskern faschistischer Ratio zu exekutieren, soll den Sozial- und Kulturkampf im Inneren zuspitzen und die Teilhabe an expansiven Gelüsten nach außen beflügeln.
23. Juni 2023
Gerhard Feldbauer
Giorgia Meloni und der italienische Faschismus
PapyRossa Verlag, Köln 2023
168 Seiten
14,90 EUR
ISBN 978-3-89438-804-1
veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 179 vom 22. Juli 2023
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