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REZENSION/775: Beckham & Pyykkönen - Unit 731 Coverup (Biowaffen) (SB)


Haddie Beckham & Merja Pyykkönen


Unit 731 Coverup

The Operation Paperclip of the East





Buchcover: Unit 731 Coverup, © 2021 by Pacific Atrocities Education, San Francisco

Buchcover: © 2021 by Pacific Atrocities Education, San Francisco


Als eine, vielleicht die bedeutendste und weltweit anerkannteste, deutsche Errungenschaft nach 1945 gilt die Aufarbeitung der eigenen, gerade zurückliegenden Geschichte. Man könnte einwenden, dass nach der niederschmetternden Niederlage im Zweiten Weltkrieg den Menschen im zweigeteilten, von fremden Mächten besetzten Deutschland auch nichts anderes übriggeblieben sei. Jedenfalls ging den einen die gesellschaftliche, juristische, mediale und politische Auseinandersetzung mit den von den Deutschen verübten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der zwölfjährigen Herrschaft der Nationalsozialisten unter ihrem Führer Adolf Hitler zu weit, den anderen wiederum nicht weit genug. Man kann sogar darüber streiten, inwieweit die Aufarbeitung der Missetaten Nazi-Deutschlands tatsächlich gelungen ist. Nichtsdestotrotz kommt man nicht um die Anerkennung herum, dass hier vielleicht erstmals in der Geschichte eine Nation nach einer schweren Kriegsniederlage den ernsthaften Versuch unternommen hat, sich tatsächlich damit auseinanderzusetzen, was man anderen Völkern angetan hat, und sich nicht, wie üblich, darüber zu beklagen, was einem selbst alles an schreiendem Unrecht zugefügt worden ist.

Welche negativen, langfristigen Folgen daraus erwachsen können, wenn man den Weg der Geschichtsaufarbeitung umgeht, zeigt das Gegenbeispiel Japan, neben Deutschland der zweite große Verlierer des Zweiten Weltkrieges. In Nachkriegsjapan sind nur ganz wenige Verantwortliche wie Ex-Premierminister Hideki Tojo für den blutigen Raubzug zur Verantwortung gezogen worden, mit dem die kaiserlichen japanischen Streitkräfte zwischen 1931 und 1945 ganz Ostasien überzogen haben und der Abermillionen von Menschen, allen voran Chinesen, das Leben gekostet hat. Während Tojo 1948 vom Tokioter Kriegsverbrechertribunal zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, durfte Ex-Oberbefehlshaber Kaiser Hirohito auf dem Thron bleiben und seine Paläste und sonstigen Vermögenswerte behalten.

Nobusuke Kishi, dem schwerste Verbrechen in den dreißiger Jahren in der Mandschurei im Rahmen des großangelegten Einsatzes chinesischer Sklavenarbeit nachgesagt wurden und der während des Pazifikkrieges gegen die USA der Tojo-Administration als Handelsminister angehörte, durfte unter Aufsicht der amerikanischen Besatzungsbehörden die kapitalistische Liberal-Demokratische Partei (LDP) zur mächtigsten politischen Kraft Japans aufbauen und von 1957-1960 sogar das Amt des Premierministers bekleiden. In dieser Funktion peitschte Kishi 1960 gegen den Widerstand weiter Teile der eigenen Bevölkerung jenen militärischen Beistandspakt zwischen Japan und den USA, der bis heute Bestand hat, durch das Parlament in Tokio und unterzeichnete ihn eigenhändig.

In Japan ist es ab 1945 also zu keiner Demontage der diskreditierten Kriegstreiberkaste vergleichbar der Entnazifizierung in Deutschland gekommen. Dafür gab es mehrere Gründe. Nach dem Abwurf der beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 erfolgte die Kapitulation Tokios so schnell, dass die Sowjetunion keine Zeit mehr hatte, mit eigenen Truppen tief nach Japan vorzustoßen. Die Rote Armee hatte in den letzten Kriegstagen zwar die Mandschurei, den Nordteil Koreas und die kleine nordjapanische Inselkette der Kurilen befreit, doch Ende August zogen vor ihr die US-Streitkräfte als alleinige Besatzungsmacht auf die japanischen Hauptinseln Honshu, Hokkaido, Kyushu, Shikoku und Okinawa ein. US-General Douglas MacArthur ließ sich in Tokio als Supreme Commander for the Allied Forces (SCAP) nieder. Die vordringlichste Aufgabe von Amerikas großem Pazifikkriegshelden bestand darin, mit Hilfe der einheimischen Politelite Japan an die USA zu binden und das Land der aufgehenden Sonne zu einem vorgelagerten Militärstützpunkt des Pentagons in Asien ähnlich Großbritannien in Europa auszubauen.

Die bemerkenswerte Rücksicht Washingtons gegenüber dem einstigen Kriegsgegner Japan erklärt sich aber nicht allein aus den politischen Erfordernissen des sich bereits im Sommer 1945 abzeichnenden Kalten Kriegs zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion. Die Frage der Militärtechnologie spielte auch eine enorm wichtige Rolle. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Amerikaner als alleinige Besitzer der von der Zerstörungskraft her alles bisherige in den Schatten stellenden Atombombe zu erkennen gegeben, während im kriegszerstörten Deutschland ausgeschwärmte amerikanische, britische, französische und sowjetische Militärgeheimdienstler um den Besitz der deutschen "Wunderwaffen" nicht nur auf dem Feld der ballistischen Raketen wetteiferten. Demgegenüber stand Japan trotz der Kriegsniederlage im Bereich der Biowaffen einsam an der Spitze, die seine Wissenschaftler in gigantischem Umfang im Rahmen eines eigenen "Manhattan-Projekts" ab 1932 hauptsächlich in der Mandschurei, Nord-, Ost- und Zentralchina, aber auch in Singapur, im französischen Indochina, auf der Malaiischen Halbinsel sowie den Philippinen entwickelt und erforscht hatten.

Die Erkenntnisse und Befunde aus dreizehn Jahren grausamster japanischer Biowaffenforschung an lebenden Menschen wollten sich die Amerikaner, die davon über die eigenen Verbindungsoffiziere bei der nationalistischen Armee Chiang Kai-sheks sowie christliche Missionare in China schon länger Wind bekommen hatten, nicht entgehen lassen - koste es, was es wolle. Wie ihnen das gelang, ist Gegenstand des Buchs "Unit 731 Coverup - The Operation Paperclip of the East" von Haddie Beckham und Merja Pyykkönen. Einheit 731 ist die Bezeichnung für die umfangreiche, 3000 wissenschaftliche Mitarbeiter zählende Forschungsanlage, die Japans prominentester Biowaffenbefürworter, Generalleutnant Dr. Shiro Ishii, ab 1932 südlich der mandschurischen Stadt Harbin errichten und zum Zentrum eines ganzen Netzwerks an ähnlichen, wenngleich kleineren Einrichtungen in den japanisch besetzten Teilen Chinas ausbauen ließ.

Wie man anhand des Untertitels ihres Buchs erkennen kann, stellen Beckham und Pyykkönen die amerikanische Aktion zur Erbeutung des teuflischen Geheimwissens der Ishii-Gruppe um biologische Kampfmittel auf eine Stufe mit der berühmt-berüchtigten Operation Paperclip, mittels derer nach dem Zweiten Weltkrieg das Counter Intelligence Corps (CIC) des Pentagons Hunderte Nazi-Wissenschaftler wie Werner von Braun "reinwusch", um sie in die Vereinigten Staaten zu locken und dort jahrelang als gutbezahlte und hochgeschätzte Führungsfiguren des militärischen und zivilen Raketenprogramms der USA arbeiten zu lassen.

Nach dem Einmarsch der Kwantung-Armee Ende 1931 in die Mandschurei und deren vollständiger Eroberung Anfang 1932 legten die Japaner dort im großen Stil mit der Erforschung aller erdenklichen biologischen und chemischen Kampfstoffe los. Für das Militaristenregime in Tokio im allgemeinen und Shiro Ishii im besonderen bot die Mandschurei als wissenschaftlicher Standort einen entscheidenden Vorteil gegenüber Japan. Im neuen Kolonialgebiet konnte man Experimente an den Einheimischen ungehindert durchführen, denn in Japan selbst und damit an der eigenen Bevölkerung war so etwas verboten - aus rassistischen Gründen sowie aus Rücksicht auf die Befindlichkeiten des Kaisers. Also errichteten Ishii und seine Handlanger im Dorf Pingfang die "Hauptabteilung der Abteilung für Epidemieprävention und Wasserreinigung der Kwantung-Armee" - verkürzt Einheit 731 - und gingen dort ans Werk.

Die Liste der Krankheitserreger, welche japanische Mediziner und Mikrobiologen in den folgenden dreizehn Jahren an Tausenden von Kriegsgefangenen, Landstreichern und mutmaßlichen Besatzungsgegnern getestet und zudem mögliche Impfstoffe oder Heilmittel dagegen entwickelt haben, ist lang. Dazu gehörten Cholera, Dyptherie, Encephalitis, Gelbfieber, Gonorrhoe, hämorrhagisches Fieber, Keuchhusten, Lungenentzündung, Milzbrand, Meningitis, Pest, Pocken, Rotz, Salmonellen, Scharlach, Syphillis, Tetanus, Tuberkulose, Tularämie, Typhus und Wundbrand. In jedem Winter wurden menschliche Versuchskaninchen mit Wasser übergossen und nächtlichen Minustemperaturen ausgesetzt, damit sie Erfrierungen davontrugen, deren Verlauf man studieren und dafür verschiedene Gegenmittel erproben konnte. Diese Experimente galten als wichtig hinsichtlich der Vorbereitung eines eventuell langanhaltenden Landkrieges mit der Roten Armee auf den Steppen und in den Bergen Sibiriens.

Ihre unfreiwilligen Testobjekte nannten die Japaner "Maruta", was soviel bedeutet wie Holzklötze oder Baumstämme, um sie zu entmenschlichen und die unsäglichen Greueltaten, welche man am Mitmenschen verübte, nicht an sich heranzulassen. Kein einziger Insasse des Forschungslabors in Pingfang oder seiner wichtigsten Außenstelle Einheit 100 am Rande der 1937 von den Japanern in einem Blutbad eroberten damaligen chinesischen Hauptstadt Nanjing, kam wieder lebend heraus. Während die Glücklosesten im Rahmen irgendwelcher chirurgischer Eingriffe bei vollem Bewusstsein und ohne Narkose zu Tode seziert wurden, hat man auch diejenigen, welche die künstlich herbeigeführte Erkrankung überlebten oder davon geheilt wurden, hingerichtet - erstens, weil man sie nicht mehr als jungfräuliches Testobjekt für weitere Experimente gebrauchen konnte und zweitens, weil man partout keinen nicht-japanischen Augenzeugen des mörderischen Treibens am Leben lassen wollte.

Ishii und seine Untergebenen haben auch verschiedene Bombentypen entwickelt und getestet. Es ging ihnen hierbei darum, dass die mitgeführten biologischen Kampfmittel nicht durch kinetischen Aufschlag am Boden, Hitze oder Sprengung zerstört wurden. Man verfiel schließlich auf Granaten aus Porzellan. Bei Freilandversuchen in abgeschiedenen Arealen warf man solche Bomben per Flugzeug auf Gruppen von am Boden in Reihen festgeketteten Menschen ab und studierte anschließend, wie sich die infizierten Porzellansplitter verteilt, wie sehr oder wenig sie die Haut der Opfer verletzt und ob sie sie infiziert hatten.

In den Jahren 1940, 1941 und 1942 unterstützte Einheit 731 unter der Leitung Ishiis mit mehreren "Großversuchen" die reguläre kaiserlich-japanische Armee bei einer Reihe von Militäroffensiven gegen chinesische Nationalisten und Kommunisten. In einem Fall infizierte man rund 3000 chinesische Kriegsgefangene mit Hilfe kontaminierter Lebensmittel mit Typhuserregern und ließ sie dann frei, wodurch eine tödliche Epidemie ausgelöst wurde. Mehrmals setzte die japanischen Luftwaffe über bestimmten chinesischen Städten Zigtausende mit dem Pestbakterium infizierte Flöhe aus. Mindestens einmal verseuchten die Japaner eine ganze chinesische Region mit Milzbrand, indem per Flugzeug unzählige mit Anthrax infizierte kleine Mehl- und Reisklumpen abgeworfen wurden.

Experten schätzen die Zahl der von Einheit 731 ermordeten Kriegsgefangenen - darunter auch eine unbekannte Anzahl amerikanischer und sowjetischer Soldaten - auf mehr als 3000, und die der Menschen, die infolge der gerade beschriebenen großangelegten Feldversuche starben, auf mehrere Hunderttausend. Selbst Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg starben weiterhin Menschen in den von den Japanern verseuchten Gebieten Chinas infolge einer Ansteckung mit den tödlichen Erregern durch Ratten oder Flöhe. Über die abscheulichen Aktivitäten von Einheit 731 waren sämtliche Minister der Regierung Tojo informiert. Es gibt auch starke Hinweise, dass sogar der Kaiser zum Kreis der Eingeweihten gehörte. Schließlich haben zwei seiner Brüder, die Prinzen Mikasa und Takeda, der Anlage in Pingfang einen Besuch abgestattet und eventuell sogar tödlichen Experimenten beigewohnt.

Doch von alledem wollten MacArthur und sein Geheimdienstchef im besetzten Japan, Generalmajor Charles Willoughby, nach dem Einzug in Tokio nichts wissen. Während man Tojo zum Oberschurken schlechthin hochstilisierte, ihm den Prozess machte und 1948 demonstrativ hinrichtete, ging man mehr als schonend mit Japans Biowaffenexperten um. Ishii und dessen Leute hatten im Sommer 1945 vor dem Abzug aus China, so gut es ging, sämtliche Forschungsanlagen zerstört, ihre rund 150 noch verbliebenen Gefangenen kurzerhand ermordet, die Leichen verbuddelt, die wichtigsten Unterlagen nach Japan zurückgeschmuggelt und alle anderen Akten verbrannt.

Ishii täuschte zunächst sogar den eigenen Tod vor. Es soll bis Anfang 1946 gedauert haben, bevor Willoughbys Ermittler dahinterkamen, dass der vielleicht meistgesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher Japans seit mehr als einem halben Jahr seelenruhig und zurückgezogen in seinem komfortablen Familienhaus südlich von Tokio residierte. Statt Ishii zu verhaften, ließen MacArthur und Willoughby eine Reihe von Experten, an der Spitze Oberst Murray Sanders, Leiter der US-Biowaffeneinrichtung Fort Detrick im Bundesstaat Maryland, nach Tokio einfliegen, die dann zwei Jahre lang Ishii immer wieder zuhause besuchten, wo sie bei Tee und Keksen versucht haben dürften, sich ein Bild vom Wissensvorsprung des ebenso gerissenen wie geschätzten Kollegen zu machen.

Sanders et al begehrten die japanischen Erkenntnisse darüber, wie sich die verschiedenen tödlichen Viren auf Menschen auswirken und wie man solche Mittel auf dem Schlachtfeld effektiv einsetzen könnte. Im Laufe der gemütlichen Gesprächsrunden, die mit einem Verhör im eigentlichen Sinne nichts gemein hatten, zeichnete sich eine Einigung ab. Ishii erklärte sich bereit, all sein Geheimwissen, darunter versteckte Unterlagen und 8000 Dias von 200 unfreiwilligen Patienten, mit den US-Behördenvertretern zu teilen, im Tausch gegen eine schriftliche Garantie der Straffreiheit für sich selbst und seine Mitarbeiter. Zunächst erklärte MacArthur mit Zustimmung von Joseph Keenan, dem amerikanischen Chefankläger der Kriegsverbrecherprozesse in Tokio, die laufenden Ermittlungen in Sachen Kriegsverbrechen mittels Biowaffen zur "geheimen Verschlusssache". Nach zahlreichen Telefonaten und ausgiebigem Briefverkehr mit Außenminister George Marshall, Verteidigungsminister James Forrestal und den Joint Chiefs of Staff im Pentagon, willigte Washington Ende 1947 in den Kuhhandel mit der Ishii-Gruppe ein.

Das perfide Biowaffengeschäft zwischen Japan und den USA einschließlich der rund zweijährigen Anbahnung, die Beckham und Pyykönnen im vorliegenden Buch mittels absolut vernichtender Zitate aus den betreffenden Originaldokumenten sowie Fotos derselben belegen, trug, wenig überraschend, zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen Moskau und Washington bei. Die sowjetische Regierung, deren Truppen im Spätsommer 1945 den verlassenen und weitgehend vernichteten Gebäudekomplex Pingfang sichergestellt und mehrere ranghohe Offiziere der Kwantung-Armee gefangengenommen hatten, die das menschenverachtende Treiben von Einheit 731 bezeugten, drängte darauf, Ishii und dessen Mitarbeiterkreis zu vernehmen. Die USA gaben 1947 dem Drängen Moskaus nach, aber erst nachdem Willoughbys Militärgeheimdienstler mit Ishii und Konsorten abgesprochen hatten, was letztere gegenüber den sowjetischen Ermittlern sagen durften und was nicht.

Als die Sowjets aus Unzufriedenheit mit der mangelnden juristischen Aufarbeitung in Tokio selbst 1949 in der ostsibirischen Stadt Chabarowsk zwölf japanischen Militärangehörigen wegen des Einsatzes von Biowaffen den Prozess machten, bestritten MacArthur und Keenan öffentlich mit großer Vehemenz und gegen besseres Wissen, dass es jemals in der Mandschurei zu Experimenten an lebenden Menschen, geschweige denn an US-Kriegsgefangenen, gekommen sei, und taten die vorlegten Beweise, darunter die Geständnisse der Angeklagten, als kommunistische Propaganda ab.

Der Sieg von Mao Zedongs Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg, der in der Ausrufung der Volksrepublik China im Oktober 1949 kulminierte, und der Ausbruch des Koreakrieges im Juni 1950 schweißten Washington und Tokio noch enger zusammen. Bei dem titanischen Kräftemessen auf der koreanischen Halbinsel, in dessen dreijährigem Verlauf sich Hunderttausende chinesische und amerikanische Soldaten eine ganze Reihe heftiger Schlachten lieferten, diente Japan als Aufmarschgebiet und logistisches Drehkreuz für die US-Streitkräfte. 1952 meldeten chinesische und nordkoreanische Behörden auf der nordkoreanischen Seite der Front Ausbrüche von Pocken, Cholera, Pest und Meningitis und bezichtigten die US-Luftwaffe, infizierte Insekten auszustreuen. Sichtlich empört wiesen die US-Offiziellen den Vorwurf als haltlos und infam zurück. Augenzeugenberichte über Besuche Ishiis und führender Einheit-731-Mitgliedern 1952 und 1953 in Südkorea wurden von den westlichen Medien schlichtweg ignoriert.

Selbst als mehrere abgeschossene und gefangengenommene Angehörige der US-Luftwaffe bei der Vernehmung durch die Nordkoreaner zu Protokoll gaben, an der Verbreitung biologischer Kampfmittel über feindlichem Territorium direkt beteiligt gewesen zu sein, wollten die politisch und militärisch Verantwortlichen in Tokio und Washington nichts davon wissen. Man sprach von einer Desinformationskampagne der kommunistischen Welt und erpresste nach dem Gefangenenaustausch infolge des Waffenstillstands 1953 unter Androhung einer Klage wegen Hochverrats die betroffenen US-Militärangehörigen zum Widerruf ihrer Geständnisse. Zur Erklärung der widersprüchlichen Aussagen erfanden CIA-Psychologen extra den Begriff der "Gehirnwäsche", der seitdem als Erklärung für alles möglich herhalten muss, ungeachtet der Tatsache, dass dieses Konstrukt bis heute keiner ernsthaften wissenschaftlichen Überprüfung standhält.[1]

Die rasche Umwandlung Japans in einen Frontstaat des Kalten Krieges, gepaart mit der mangelhaften Aufarbeitung der zahlreichen Verbrechen der kaiserlichen Soldateska in China während des Zweiten Weltkrieges, sorgt dafür, dass es in Ostasien nicht zu einer Versöhnung wie der Deutschlands mit seinen unmittelbaren Nachbarn gekommen ist. Bis heute vermissen vor allem Koreaner und Chinesen eine angemessene öffentliche Entschuldigung des japanischen Staates und seiner Repräsentanten für Zwangsprostitution, das Massaker von Nanking, die Misshandlung von Kriegsgefangenen, den Einsatz von biologischen Waffen und vieles mehr.

Mit Erschrecken kann man im Buch Beckhams und Pyykkönens die rationalisierenden Worte Shiro Ishiis aus den dreißiger Jahren nachlesen, man könne problemlos offensive Biowaffen unter dem Vorwand der Erforschung lindernder oder heilender Maßnahmen gegen Krankheiten und Seuchen entwickeln. Unter genau diesem Vorwand, dafür gleichzeitig unter extremer Geheimnistuerei, betreiben die USA seit mehr als einem halben Jahrhundert extensive Biowaffenforschung und zwar nicht nur im eigenen Land, sondern auch in Übersee - bekanntestes Beispiel die chinesische Metropole Wuhan.

Man darf auch nicht vergessen, dass die Erreger für die Anthrax-Briefanschläge, die in den ersten Wochen nach den schockierenden Flugzeugattacken vom 11. September 2001 fünf Menschen in den USA töteten und 17 weitere schwer erkranken ließen, nicht, wie anfangs behauptet, aus irgendwelchen versteckten Anlagen Saddam Husseins im Irak, sondern nachweislich aus dem United States Army Medical Research Institute of Infectious Diseases (USAMRIID) in Fort Detrick selbst stammten. Der Hauptverdächtige des FBI, der Mikrobiologe Bruce Ivins, der stets seine Unschuld beteuerte, hat sich nach der Anklageerhebung 2008 das Leben genommen und somit der Regierung George W. Bush eine sorgfältige, gerichtliche und vor allem öffentliche Prüfung der Beweise erspart. Dafür gilt seitdem der Fall offiziell als gelöst.


Fußnoten:

1. REZENSION/498: Dominic Streatfeild - Gehirnwäsche (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar498.html

2. REZENSION/215: Philipp Sarasin - 'Anthrax' · Bioterror als Phantasma (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar215.html

30. Oktober 2023

Haddie Beckham & Merja Pyykkönen
Unit 731 Coverup
The Operation Paperclip of the East
Pacific Atrocities Education, San Francisco, 2020
196 Seiten
ISBN: 978-1-947766-33-4


veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 180 vom 4. November 2023


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