Jürgen Tautz
Auch Bienen haben Schweißfüße
Verblüffendes aus der Welt der Honigbienen
Buchcover: © by Verlag Eugen Ullmer KG
Ein Bienenbuch, das es in sich hat. Die gelungene Zusammenfassung der jahrzehntelangen Forschungsarbeit des Autors Prof. Dr. Jürgen Tautz über das Leben der Honigbienen bietet dem interessierten Leser einen tiefen Einblick nicht nur in die Biologie dieser beeindruckenden Insekten, sondern auch in die modernen Untersuchungsmethoden, die erstaunliche Erkenntnisse erst möglich machen. Es werden Fragen aufgeworfen, die sich mancher Bienenfreund schon gestellt haben mag, die einfach erscheinen und dennoch in ihrer Vielschichtigkeit genau das nicht sind. Deutlich wird, dass es im Leben der Bienen Geheimnisse gibt, die noch nicht vollständig gelüftet wurden.
Die grafische Gestaltung, in die die Texte eingebunden sind, die Fotos, die oft elektronenmikroskopische Darstellungen abbilden und von beeindruckender Qualität sind, und die erhellenden Grafiken machen die Lektüre dieses Buches zu einem Erlebnis. Als besondere Beigabe sind an drei Stellen im Text QR-Codes eingefügt, bei deren Öffnung kleine Filme dargeboten werden, beispielsweise mit Mikro-Computertomographie erzeugte Bilder, die mehrdimensional bewegt den Kopf einer Biene zeigen. In einer weiteren Darstellung mit dem Titel "nano flight", die durch ein Rasterelektronenmikroskop entstanden ist, werden die Augen, die Fühler, die Flügel, die Zunge, die "Schweißfüße", die Pollenkämme und der Giftstachel in beeindruckender Größe und Präzision abgebildet. Ein weiterer Film, mit Wärmebildkameras erstellt, zeigt die Erhitzung der Bienen und das sogenannte "Abkochen" einer feindlichen Wespe, die in den Stock eingedrungen ist. Akustische Signale wie das "Piepen" der Bienen oder der "Orchestergesang" der Zwerghonigbienen geben einen hörbaren Eindruck des Bienenvolkes.
Bereits in der Inhaltsangabe wird eine gut strukturierte Auflistung einer Reihe von Fragestellungen vorangestellt, die von der sorgfältigen und engagierten Forschungsarbeit zeugen. Für den Leser bietet sich die Möglichkeit, sich gleich dem Kapitel mit den für ihn relevanten Fragen zuzuwenden.
Unter dem Titel "Sinneswahrnehmung & Lernvermögen - Von der Klugheit der Bienen" findet sich ein Abschnitt mit der Überschrift "Fühlen Honigbienen Schmerzen?" Verwirrend ist die Beschreibung des Versuchsaufbaus zur Frage, ob Bienen Schmerz empfinden. In der distanzwahrenden Einleitung des Autors, dass der im folgenden dokumentierte Versuchsaufbau nur von jemandem durchgeführt werden kann, der davon ausgeht, dass Bienen keinen Schmerz empfinden, lesen wir:
"Eine Honigbiene sitzt an einem Tropfen Zuckerwasser und trinkt. Während sie trinkt, durchschneidet man ihren Körper, indem man den Hinterleib vom Brustabschnitt abtrennt. Der Hinterleib fällt herunter, die Biene bleibt stehen und trinkt weiter. Das Zuckerwasser tropft nun aus dem offenen Darm." (S. 28/29)
Die daraus abgeleitete These, Bienen würden keinen Schmerz empfinden, ist möglicherweise böses Wunschdenken des Experimentators und erinnert an das Huhn, das nach dem Abschlagen seines Kopfes noch eine Weile herumrennt.
Erstaunliches findet sich unter dem Titel "Die verräterischen 'Schweißfüße' der Bienen": Die Bienen markieren die von ihnen besuchten Blüten mit einem chemischen Fußabdruck. Dazu steht auf Seite 26:
"Bereits im Jahre 1906 hat der US-amerikanische Bienenforscher Ludwig Arnhart in allen sechs Füßen der Honigbiene Drüsen nachweisen können."
(die sogenannten, nach ihm benannten "Arnhart-Drüsen", Anm. d. Rezensenten)
Eine Biene, die eine Blüte besucht und deren Nektar getrunken hat, hinterlässt einen chemischen Fußabdruck, der durch eine Absonderung aus den Arnhart-Drüsen stammt. Nachfolgende Bienen wissen dann, dass hier kein Nektar mehr zu holen ist, und steuern eine andere Blüte an. Im Folgenden wird beschrieben:
"Es ist eine der vielen wunderbaren Abstimmungen zwischen den Blütenpflanzen und deren Bestäuberinsekten, dass die Geschwindigkeit, mit der das chemische "Stopp-Schild" verblasst, gut Schritt hält mit der Nachbildung von Nektar in der markierten Blüte. Ist der Nektarvorrat wieder aufgefüllt, ist der Hinweis auf erfolgte Ausbeutung verblasst." (S. 26)
Von dem Begriff "Tanzsprache der Bienen" dürfte vielleicht jeder schon gehört haben. Was der Bienenforscher und Nobelpreisträger Max von Frisch (1973) aus seinen Beobachtungen abgeleitet hat, ist nicht unbedingt jedem bekannt. Dies wird auf S. 48/49 ausführlich beschrieben. Zu den Erkenntnissen, die unter anderem durch neueste Technologie erlangt werden konnten, heißt es:
"Die Information aus dem Schwänzeltanz ist ungenau und gibt lediglich ein unscharf abgegrenztes Areal an, in dem sich das Ziel befindet. Fliegen die Bienen zu einem neuen Futterplatz, den eine andere Sammelbiene durch ihren Tanz beworben hat, durchlaufen sie drei Phasen." (S. 50)
Diese drei Phasen werden in 'Schicken', 'Suchen' und 'Locken' unterteilt. Vorweg sollte man sich in Erinnerung rufen, dass Bienen ganz besonders stark auf Duftstoffe reagieren, und zwar sowohl auf die der Blüten, als auch auf die körpereigenen wie das Geraniol oder den des chemischen Fußabdrucks (siehe S. 26 und 33).
Dann ist es leichter vorstellbar, wie die oben genannten drei Phasen funktionieren. Es heißt:
"Schicken: Die Bienen folgen den Hinweisen der Tänzerin und fliegen vom Bienenstock in das im Tanz angezeigte grob umrissene Areal.
Suchen: Die Bienen erreichen das Suchareal, dessen Lage, Form und Ausdehnung von äußeren (Wetter) und inneren (Motivation) Faktoren der Rekruten abhängt.
Locken: Treffen die Rekruten im Suchareal auf Düfte der Blüten, die sie auf der Tänzerin wahrgenommen hatten und/oder die Signale der Tänzerinnen, welche die Kommunikation im Feld fortsetzen, werden die Bienen zum Ziel geführt." (S. 50)
Weiter wird erklärt, dass so auch unerfahrene Bienen im Tandem von erfahrenen Bienen auf der letzten Etappe zum Ziel geleitet werden. In der in diesem Zusammenhang folgenden Beschreibung wird deutlich, dass einstmalige wissenschaftliche Forschungsergebnisse über Bienentanz/Bienensprache, sofern sie Lücken in der Plausibilität aufwiesen, Anregung für eine intensive Überprüfung und für eine Fortsetzung der Forschung sind. So kommt es, dass konkrete wissenschaftliche Überlegungen des Bienenzüchters Johann Ernst Spitzner aus dem Jahr 1810 und von Karl von Frisch aus dem Jahr 1923 heute wieder als Denkansatz in der aktuellen Bienenforschung dienen. Beispielhaft wird das im Kapitel über den Brauseflug beschrieben.
Karl von Frisch beobachtete 1923 in einem Experiment ein auffälliges Verhalten der Sammelbienen. Er schrieb:
"Die Sammlerinnen, die vom Stock her zum vollen Schälchen geflogen kamen, schwärmten oft auffallend lange über dem Futterplatz in unregelmäßigen Touren herum." (S. 51)
Damals entdeckte der Bienenforscher auch, dass diese Sammelbienen mit sichtbar geöffneter Duftdrüse, die sich an ihrem Hinterleib befindet, die Blüten umschwirrten. Heute wird diese Drüse Nasanov-Drüse genannt. Bei dem Duftstoff, der abgesondert wird, handelt es sich um Geraniol und der Verhaltenskomplex wird als "Brauseflug" bezeichnet.
Dank der technischen Entwicklung in der Mikroskopie, der Herstellung von Mikrochips und Minisendern und der neuen Aufnahme- und Wiedergabetechniken sind heute Blicke weit in das Innere der Bienen und des Bienenstocks möglich. Auch ihr Flugverhalten kann besser verfolgt werden. Das Interesse an den Bienen und der Erforschung ihrer Lebensweise ist uralt. Schon Aristoteles zählte zu den Bienenbeobachtern. Dennoch stellt sich die Frage: Wozu das Leben der Bienen erforschen? Bienen lebten bereits Millionen Jahre vor uns Menschen auf der Erde und organisierten ihr Leben hervorragend ohne uns. Was steckt hinter der Forschung? Seit den Anfängen der Imkerei veränderte sich die Haltung dieser Honig produzierenden Insekten. Es gab unterschiedlichste künstliche Behausungen: gebaut wurden Bienenkörbe in allen Größen, Materialien und Formen, Bienenkästen, die stets verbessert wurden, oder Bienenkugeln, die dem natürlichen Bau der Bienen nachempfunden sein sollen, die ihre Nester in Baumhöhlen weit oben im Stamm anlegten.
Den Imkern ist daran gelegen, ein gesundes Volk zu beherbergen und alle notwendige Sorge für sein Wohlergehen zu tragen. Ihr Lohn ist der Honig, den sie dem Bienenvolk abnehmen. Da erweist sich die Erforschung der Bienen als sinnvoll. Je mehr Wissen über diese Insekten erlangt wird, desto besser können Imker sie vor Krankheitserregern schützen oder Maßnahmen zur Abwehr einleiten. In Zeiten des Klimawandels wird es noch dringlicher zu wissen, wie Imker ihr Bienenvolk in Zeiten großer Hitze schützen können und was Bienen selbst zu tun in der Lage sind. Die Folgen von Monokulturen auf ein Bienenvolk, die Auswirkungen auf ihre Gesundheit und auf die Qualität des Honigs sollten unbedingt bekannt sein. Denn mittlerweile breitet sich eine Art "Bestäuberindustrie" aus, das heißt, Bienenvölker werden in der Nähe von Monokulturen, beispielsweise auf Mandelbaum-Plantagen, platziert.
Eine Frage, die nach der Lektüre dieses informativen Buchs noch bleibt, ist folgende: Was wissen wir über die Bienen, die frei und ohne die Einflussnahme des Menschen ihr Leben organisieren?
Der Autor und Bienenforscher Jürgen Tautz hat mit dem Buch "Auch Bienen haben Schweißfüße" auf eine aufschlussreiche Weise ein umfangreiches Wissen über Bienen vermittelt. Geboren wurde der Bienenexperte am 6. Oktober 1949 in Heppenheim. Jürgen Tautz studierte 1968 bis 1973 an der Technischen Universität Darmstadt Biologie, Geographie und Physik. Nach Stationen an der Universität in Konstanz, der Australian National University in Canberra und der Stanford University (USA) habilitierte er im Jahr 1986 im Fachgebiet Zoologie.
Prof. Dr. Jürgen Tautz vor einer Bienenforschungsstation in Bad Schwartau
Foto: © 2014 by Schattenblick
Seit 2006 entwickelt und leitet Professor Tautz das Projekt 'HOneyBee Online Studies' HOBOS. Dabei handelt es sich um eine interdisziplinäre Lehr- und Lernplattform, die im Internet ihren Platz hat. Hier erlangt der interessierte Bienenfreund Zugang zu aktuellen Messdaten aus Bienenvölkern, die auch per Videostream angesehen werden können. HOBOS wird weiterentwickelt und Herr Tautz und sein Team bauen das sogenannte "we4bee" auf. Dabei handelt es sich schwerpunktmäßig um Umweltforschung und Umweltbildung. Eine weltweite Vernetzung ermöglicht die Einrichtung von "we4bee" vor allem in Bildungseinrichtungen.
5. Juni 2024
Jürgen Tautz
Auch Bienen haben Schweißfüße
Verblüffendes aus der Welt der Honigbienen
Verlag Eugen Ullmer KG, Stuttgart 2024
144 Seiten
ISBN 978-3-8186-2083-7
veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 181 vom 29. Juni 2024
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