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AUGENZEUGENBERICHT/001: Vor dem Sieg in Saigon (1) - In Nordvietnam unter US-Bomben (Irene und Gerhard Feldbauer)


Augenzeugenberichte aus dem Vietnamkrieg aus den Jahren 1967 und 1968

Teil 1: In Nordvietnam unter US-Bomben

Erinnerungen von Irene und Gerhard Feldbauer, 25. April 2025


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Diesem ersten Augenzeugenbericht werden sechs weitere folgen, die dann in Kürze in der Online-Ausgabe des Schattenblick zu finden sind.

Am Abend des 31. Juli 1967 flogen wir auf Hanoi zu, wo wir unseren ersten Einsatz als Korrespondenten für den "Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst" der DDR und "Neues Deutschland" begannen. Irene arbeitete als Foto-Reporterin, ich als Wortberichterstatter. Als wir die Grenze überflogen, erlosch in unserer IL-14 der China Airlines die Beleuchtung. Flakscheinwerfer suchten den Himmel ab, MiG-Jäger eskortierten den Flug. Nach der Landung auf dem Flughafen Gia Lam erinnerten uns auch die in Dunkelheit gehüllten Flughafengebäude daran, dass wir in ein vom Krieg heimgesuchtes Land kamen, in ein Nordvietnam unter dem Hagel amerikanischer Bomben.


Eine Frau mit drei Kindern, neben ihnen ein mit Wasser gefüllter Bombentrichter - Foto: © Irene Feldbauer

Hanoi, Mai 1969 - diese Familie verlor ihre Hütte nach der Bombardierung durch ein amerikanisches Kampfflugzeug
Foto: © by Irene Feldbauer

Unzählige Male wurden wir Augenzeugen barbarischer Luftangriffe, der Zerstörung von Wohnvierteln, Krankenhäusern, Schulen und Betrieben, Kirchen und Pagoden, Straßen und Brücken, Bewässerungsanlagen der Reisfelder. Wir sahen blutbefleckte Kleider, zerfetzte Schulbücher, Krankenbetten, die aus Trümmern ragten, verstümmelte Menschen, Arme, Beine abgerissen, die vielen, vielen Toten, Opfer der Zivilbevölkerung, vor allem immer wieder Frauen, Kinder, alte Menschen. Ein Leid, das man kaum beschreiben konnte.

Wir sahen aber auch den unbeugsamen Willen von Menschen, die ihre unter unsagbaren Opfern errungene Freiheit und Unabhängigkeit verteidigten, erlebten das Scheitern der US-Luftaggression gegen die Demokratische Republik Vietnam (DRV - Nordvietnam) und während des Tet-Festes im Frühjahr 1968 die strategische Wende im Befreiungskampf in Südvietnam.

Wir hatten das große Glück, Ho Chi Minh mehrmals zu begegnen. Das waren nicht nur persönliche Kontakte, bei denen wir direkt mit ihm zusammentrafen, mit ihm sprachen, er uns die Hand drückte, uns freundschaftlich umarmte, sich nach unserem Befinden erkundigte, wir in einer unvergesslichen Weise die kaum wiederzugebende Ausstrahlung dieser faszinierenden Persönlichkeit spürten. So war es auch während einer Festveranstaltung am 19. Dezember 1967 zum 23. Jahrestag der Gründung der Volksarmee. Als Irene auf der Bühne Ho fotografierte, rief er sie zu sich und unterhielt sich mit ihr über ihre Arbeit.


Eine Frau und zwei Männer drucken in einem Bunker an einer Druckerpresse eine Zeitung - Foto: by Irene Feldbauer

Vinh Linh, Spezialzone am 17. Breitengrad, Januar 1970 - Vier Jahre lang lebten und arbeiteten - wie hier beim Zeitungsdrucken - viele Menschen in Bunkern unter der Erde. Draußen lauerte der Tod. In den Dörfern entlang des knapp 100 Kilometer langen Grenzstreifens am Ben Hai wurden 50.000 Bunker gebaut und fast 1500 Laufgräben ausgehoben.
Foto: © by Irene Feldbauer

Er war aber auch immer bei den vielen Begegnungen dabei, die wir mit den Menschen Vietnams hatten, und er lebte, auch nach seinem Tod, im Kampf seines Volkes weiter. Sein Testament, das er im Mai 1969 verfasste, ist durchdrungen von der Liebe zu seinem Volk und der unerschütterlichen Gewissheit, dass es bis zum Sieg kämpfen werde. Man möchte fast sagen, dass seine herausragende Führerpersönlichkeit erst nach seinem Tod sichtbar wurde. Denn als er während des erbitterten Befreiungskrieges gegen die US-Aggressoren und das südvietnamesische Marionettenregime im September 1969 starb, hinterließ er nicht, worauf seine Feinde spekuliert hatten, ein Vakuum, sondern eine kampfgestählte Partei mit einem starken Führungskollektiv und ein von seinem Unabhängigkeitswillen beseeltes Volk, die sein Werk fortsetzten.

Das vietnamesische Volk siegte über die Militärmacht der USA, die stärkste der westlichen Welt, die als Nachfolger der französischen Kolonialisten seit 1955 Vietnam mit einem barbarischen Vernichtungskrieg überzogen hatte. Die große Hilfe des damals existierenden sozialistischen Lagers, darunter modernste konventionelle Waffen aus der UdSSR und Lieferungen aus der VR China, die weltweite Solidarität der Völker und ihrer Friedenskräfte, eingeschlossen die in den USA, waren entscheidende Grundlagen dieses Sieges. Aber die letztlich ausschlaggebende Bedingung, dass diese Faktoren zur Geltung kommen konnten, war der nicht zu brechende Widerstandswille des Volkes, der in den Traditionen nationalen und antikolonialen Widerstandes wurzelte, die zu mobilisieren eine kommunistische Partei verstand, die der legendäre Führer Ho Chi Minh gegründet hatte.


Mit Laub getarntes Flakgeschütz, mehrere vietnamesische Soldaten in Aktion - Foto: © by Irene Feldbauer

Februar 1968 - 37-mm-Flak-Stellung in der Nähe der Stadt Vinh, einer von 27 Städten Nordvietnams, die durch die USA und ihre Verbündeten nahezu vollständig zerstört wurden. Die Bewohner Vinhs arbeiteten ungeachtet der Bombardierungen weiter und stellten lebenswichtige Güter her.
Foto: © by Irene Feldbauer

Einen ersten Eindruck davon erhielten wir schon kurz nach unserer Ankunft Mitte August während einer fast drei Wochen dauernden schweren Angriffswelle auf Hanoi. Wir befanden uns gegen 12 Uhr wenige hundert Meter von der Long-Bien-Brücke entfernt, als F-105 "Thunderchief" Kampfflugzeuge sie eine halbe Stunde lang in sieben Wellen angriffen. Zum ersten Mal erlebten wir, dass ihnen ein außerordentlich starkes Abwehrfeuer von 57- und 100-mm-Flugabwehr-Kanonen wie auch von SAM-Raketen entgegenschlug. Die F-105 Donnergott warfen ihre Bomben aus einigen Tausend Metern Höhe ab. Sie hatten zunächst etwa Streichholzgröße, aber in Sekundenschnelle wuchsen sie zu ihrem vollen Ausmaß an und explodierten vor uns.

Wir standen in einer Gruppe von vier oder fünf Vietnamesen, die uns, als wir Deckung suchten, zu sich gewunken hatten. Für sie war das Kriegsalltag und sie strahlten eine Ruhe aus, die uns, wie auch später, oft half, mit solchen Situationen fertig zu werden. Wir standen hinter einer etwa eineinhalb Meter hohen Erdaufschüttung, die vor ihren Häusern eine Art Schutzwall gegen Bombensplitter bilden sollte. Ein älterer Vietnamese legte kameradschaftlich seinen Arm auf meine Schulter, sein Lächeln schien zu sagen: Keine Angst, wir halten durch. Wenn eine neue Welle der F-105 nahte und die Bomben vor uns einschlugen, duckten wir uns. Die Long Bien wurde an diesem Tag übrigens nicht getroffen. Das Sperrfeuer der Luftabwehr hatte das verhindert.

Mitte Oktober erlebten wir in der Hafenstadt Haiphong eine Woche Tag und Nacht die Angriffe von Maschinen der im Golf von Tongking kreuzenden Flugzeugträger. Im Wohnviertel Dong Hai wurden 55 Wohnhäuser zerstört, ganze Häuserreihen waren Ruinenfelder, im Bezirk Hong Bang war das Krankenhaus schwer beschädigt, darunter die pharmakologische Forschungsabteilung und die Kinderstation. In ganz Nordvietnam wurden bis Oktober 1967 74 Krankenhäuser zerstört.


Im Vordergrund ein Bauer mit einem großen Strohschild auf dem Rücken vor einem Erntewagen, rechts ein weiterer Bauer, neben ihm ein in einem kleinen Wasserlauf liegendes Ruderboot - Foto: © by Irene Feldbauer

Dezember 1967 - Die zweite Reisernte des Jahres in Nordvietnam. In der Deltaprovinz Hung Yen tragen die Reisbauern - wie hier im Bild - zum Schutz vor dem amerikanischen Kugelhagel einen dicken Strohschild auf dem Rücken.
Foto: © by Irene Feldbauer

Zurück in Hanoi erfuhren wir, dass in den vorangegangenen Tagen nach Abschuss ihrer Maschinen 15 US-Piloten gefangen genommen worden waren, darunter der Marineflieger Major John Sydney McCain vom Flugzeugträger "USS Oriskany" am 26. Oktober 1967 mit seiner F4 "Phantom". Der prominente Offizier - sein Großvater befehligte im Zweiten Weltkrieg die US-Flugzeugträger im Pazifik und der Vater war Befehlshaber der US-Flotte in Europa - gab zu, das Feuer der Luftabwehr sei, besonders über Hanoi, "sehr dicht und sehr präzise", die Air Force verliere zehn und mehr Prozent ihrer Maschinen. Bei seinem letzten Einsatz konnte er noch registrieren, dass von 25 Maschinen, seine mitgerechnet, drei abgeschossen wurden.

Oberst Robinson Risner, ein Flieger-Ass aus dem Koreakrieg, der bereits am 16. September 1965 abgeschossen worden war, gab an, dass die Nordvietnamesen bei einem Angriff von 18 "Thunderchief" seines Geschwaders fünf vom Himmel geholt hätten. Der britische Konsul sagte mir einmal, das seien, verglichen mit den Abschussziffern, welche die Royal Air Force in der Luftschlacht über England gegen Görings Flieger erzielte, Ergebnisse, die sich sehen lassen könnten.


Im Vordergrund trägt eine junge Frau an einer Tragestange aufgehängte Bombenteile weg - Foto: © by Irene Feldbauer

Januar 1970 - In der bereits erwähnten Spezialzone Vinh Linh tragen junge Mädchen Bombenteile weg. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die USA in vier Kriegsjahren 500.000 Tonnen Bomben über diesem 800 km² großen Gebiet abgeworfen, Schiffsartillerie und weitreichende Feldgeschütze hatten die Region mit 700.000 Granaten belegt.
Foto: © by Irene Feldbauer

Im Frühjahr 1968 waren wir mit Hubert Link, der für ADN-Zentralbild eine Fotoserie gestaltete, auf dem Weg nach Süden bei Vinh nachts am Lam-Fluss angekommen, wo wir auf die Freigabe der Unterwasserbrücke warteten. Als wir bemerkten, dass vor uns mehrere Tanklaster standen, beschlossen wir umzukehren. Wir hatten kaum einen Kilometer zurückgelegt, als der Flussübergang angegriffen wurde. Wir sahen ein riesiges Flammenmeer und wussten, dort starben viele Menschen. Wir übernachteten abseits der Straße Nr. 1 in einem kleinen Dorf, in dem die Bewohner einfache Bambushütten an Stelle der meisten zerstörten festen Häuser errichtet hatten. Am späten Nachmittag luden wir unser weniges Gepäck gerade auf die Jeeps, als das Dorf angegriffen wurde. Die Maschinen flogen so tief, dass wir die Köpfe der Piloten in den Kanzeln erkennen konnten. Ringsherum explodierten Bomben und schlugen Raketen ein. Wir hatten nur eins im Sinn: Das Verbrechen mit unseren Kameras festzuhalten. Aber unsere vietnamesischen Begleiter wurden, wie so oft, unsere Lebensretter. Sie zerrten uns förmlich mit Gewalt auf unsere Jeeps und wir rasten davon, das Dorf im Bombenhagel hinter uns zurücklassend.

Da die DRV, nicht zuletzt dank der militärischen Hilfe der UdSSR und der VR China, nicht zur Kapitulation gezwungen werden konnte, musste Washington, auch angesichts der Proteste in den USA, am 1. November 1968 die bedingungslose Einstellung der Luftangriffe erklären. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die nordvietnamesische Luftabwehr 3.243 US-Flugzeuge abgeschossen, darunter eine Anzahl Hubschrauber.


Die Autoren schrieben unter anderem das Buch "Sieg in Saigon - Erinnerungen an Vietnam", Pahl Rugenstein Nachf., 2. Auflage, Bonn 2005.


Irene und Gerhard Feldbauer mit Fotoapparaten, von vietnamesischen Begleitern umgeben - Foto: © by Irene Feldbauer

Augenzeugen des Vietnamkriegs - Irene und Gerhard Feldbauer als Kriegsreporter in Nordvietnam im Einsatz
Foto: © by Irene Feldbauer

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Quelle:
© 2025 by Irene und Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung der Autoren

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 5. Juli 2025

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