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DAS BLÄTTCHEN/2112: Konjunktur - auf-, ab- oder seitwärts?


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
28. Jahrgang | Nummer 16 | 22. September 2025

Konjunktur - auf-, ab- oder seitwärts?

von Jürgen Leibiger


So peu à peu wagen sich die Forschungsinstitute vor, die Wirkungen der schwarz-roten Wirtschaftspolitik in ihre Konjunktureinschätzungen einzuarbeiten. Während einige Institute ihre Prognosen im Vergleich zum Frühjahr wieder senken, sind andere vorsichtig optimistisch. Das Berliner DIW sieht Deutschland dank des Finanzpakets der Bundesregierung "vor dem Aufschwung", während das Kieler IfW, das Münchner ifo-Institut und das RWI Essen in ihren Formulierungen vorsichtiger sind.

Die unterschiedlichen Einschätzungen hängen vielleicht auch von den theoretischen Grundpositionen der Institute ab. Das DIW, eher keynesianisch orientiert, schätzt die Wirkung einer staatlichen Nachfragepolitik stärker ein als die zumeist neoklassisch argumentierenden anderen Institute. Nach deren Auffassung wirkt eine kreditfinanzierte Wirtschaftspolitik trotz deren Nachfrageeffekt längerfristig negativ auf die Konjunktur. Außerdem wollen sie mit ihren Schlussfolgerungen Druck auf die Bundesregierung ausüben: Es brauche mehr Bürokratieabbau, eine Senkung der Sozialkosten, mehr Unterstützung und Freifahrt für private Investitionen und Gewinne. Ganz davon abgesehen - jetzt beginnen gerade Tarifverhandlungen, und da soll den Gewerkschaften mit optimistischen Prognosen nicht etwa Munition für ihre Verhandlungen mit den Arbeitgebern geliefert werden.

Alle Prognosen für das BIP-Wachstum des laufenden Jahrs liegen zwar im positiven Bereich, aber nahe Null, und für 2026 knapp über einem Prozent; beim DIW deutlich über einem, aber unter zwei Prozent. Für das übernächste Jahr fallen die Prognosen besser aus, aber wer kann schon soweit vorausblicken?

Die größte Unsicherheit geht von der weltwirtschaftlichen Entwicklung aus. Von den fünf größten Wirtschaften (USA, China, Deutschland, Japan und Indien) ist Deutschland am stärksten in die globalen Handelsbeziehungen eingebunden. Die Außenhandelsquote, das Verhältnis von Export plus Import zum Bruttoinlandsprodukt, liegt bei über 80 Prozent, bei den anderen genannten Staaten ist dieser Wert nur halb so hoch. Länder, die einen höheren weltwirtschaftlichen Verflechtungswert aufweisen, sind allesamt viel kleinere Länder und deshalb stärker auf Importe angewiesen.

Die Verletzlichkeit der deutschen Wirtschaft hinsichtlich der Lieferketten, der Verfügbarkeit von Energie und Rohstoffen, der Weltmarktpreise und der Exportmöglichkeiten ist aufgrund dieser Verflechtung außerordentlich hoch. Besonders die Außenwirtschaftsbeziehungen zu China und den USA sind eine Achillesferse für die deutsche Wirtschaft geworden. Die Exporte in beide Länder gingen im ersten Halbjahr 2025 zurück, nach China noch deutlich stärker als in Richtung der USA.

Auf der Münchner Internationalen Automobilausstellung zeigten sich die Spitzen der deutschen Autoindustrie zwar optimistisch, aber die chinesischen Hersteller haben dazu viel eher einen Grund. Man kann sich vorstellen, was deren kraftstrotzender Auftritt für das Flaggschiff der deutschen Industrie hinsichtlich des Exports nach und der Produktion in China bedeutet.

Die Wirkungen der Zollpolitik Trumps auf Europa und Deutschland sind zwar bereits spürbar, haben sich aber noch nicht gänzlich entfaltet. Die Vorzeichen für die deutsche Exportwirtschaft sind also düster. Allein zwischen Juli und August haben viele Unternehmen, darunter vor allem exportorientierte Firmen, Stellenabbau in einer Gesamthöhe von 125.000 Arbeitsplätzen angekündigt. Ob es zur üblichen Herbstbelebung am Arbeitsmarkt kommt, ist zweifelhaft.

Kein Wunder, dass sich die Stimmung der Verbraucher nach jüngsten Aussagen des Handelsverbands Deutschland im Verlauf des Sommers deutlich eingetrübt hat und durch die Ankündigung der Bundesregierung hinsichtlich der Sozialsysteme weiter gedrückt wird. Zwar überstiegen die Lohnsteigerungen die Steigerung der Verbraucherpreise im ersten Halbjahr deutlich, so dass die Reallöhne gewachsen sind, aber deren Einbruch in den vergangenen Jahren wurde noch nicht wieder aufgeholt. Die Steigerung der Arbeitnehmereinkommen betrug in den ersten beiden Quartalen jeweils ein, respektive 1,3 Prozent, Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen mehr als doppelt so schnell. Auf das Investitionsgeschehen hingegen hatte diese Entwicklung - angesichts des sich kaum verändernden Auftragseingangs der Industrie - kaum Einfluss. Der Beitrag des Investitionsgeschehens zum äußerst schwachen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts war zuletzt negativ.

Die insgesamt miese Stimmung im Land wird auch durch die Lage der öffentlichen Finanzen und die allerorten spürbaren Einschränkungen mitbestimmt. Dies ist trotz der im ersten Halbjahr gestiegenen Steuereinnahmen der Fall. Und obwohl die Finanzpolitik insgesamt expansiv gestaltet wird und das Defizit Spending - somit die öffentliche Verschuldung - sich erhöhen werden, wird sich die soziale Lage breiter Kreise der Bevölkerung keineswegs verbessern. Mit dem Infrastrukturprogramm wird zwar auf die großen Versäumnisse der vergangenen Jahre reagiert, aber inzwischen ist klar geworden, dass es sich nicht immer um wirklich zusätzliche Mittel handelt, weil dafür regulär aus dem Kernhaushalt zu finanzierende Maßnahmen gekürzt werden und weil für die Unternehmen Steuersenkungen geplant sind. Die negative Seite dieser Finanzpolitik trifft vor allem die Kommunen mit voller Wucht, deren Verschuldung einen neuen Rekordwert aufweist. Und ob die insgesamt expansive Finanzpolitik, einschließlich der sprunghaft steigenden Rüstungsausgaben, tatsächlich auch positiv auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts wirkt, bleibt abzuwarten. Die Bundesbank ist ihrem jüngsten Monatsbericht jedenfalls nicht sonderlich optimistisch; die Wirkungen dieser Politik bezeichnet sie als "ungewiss" beziehungsweise "nicht sehr groß".

Entscheidend für ihre gesamtwirtschaftliche Dynamik sind sowieso die Investitionen und Ertragsverhältnisse der Unternehmen, die sich an der Profitrate und weiteren Renditekennzahlen bemessen. Die Nettoprofite der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften (EBIT = Earnings bevor Interest and Taxes = Gewinn vor Zinsen und Steuern) gingen im Verhältnis zum Produktionswert zuletzt weiter zurück; das ist mit Schwankungen seit der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 der Fall. Bezogen auf den Nettokapitalstock sind die Profite seit 1950 auf einem historischen Tiefstand angelangt. Sie hatten sich in den zwanzig Jahren von 1985 bis 2005 leicht erholt, um dann erneut zu sinken. Theoretiker, die wie David Ricardo, Karl Marx oder auch John M. Keynes mit unterschiedlichen Begründungen von einem tendenziellen Fall der Profitrate oder auch anders definierter Kapitalertragsraten ausgingen, können sich bestätigt fühlen.

Das Akkumulations- und Investitionsgeschehen, die wirtschaftliche Situation überhaupt werden davon fundamental beeinflusst. Als in den 1970er Jahren ein - heute noch unterschrittener - Tiefstand erreicht war, kam es zu jener wirtschaftspolitischen Kursänderung, die mit dem Begriff der "neoliberalen Wende" belegt ist und, was die Entwicklung der Profitmasse und zunächst auch der Profitrate anbelangt, durchaus erfolgreich war. Damit ist es seit mehr als zehn Jahren wieder vorbei.

Sind wir also nicht erneut Zeugen einer politischen Zäsur? Die hysterischen Rufe nach Bürokratieabbau und Einschränkungen des Sozialstaates auf der einen, die staatlichen Programme zur Stärkung der nationalen Wirtschaft - Industriepolitik, die nicht so genannt werden darf -, die massive Ausweitung der Staatsausgaben mittels Sonderschulden, die euphemistisch Sondervermögen genannt werden, und die Reformierung der Schuldenbremse auf der anderen Seite sind deutliche Anzeichen dafür.

Entwickelt sich die Konjunktur also auf-, ab- oder seitwärts? Es ist wie mit dem zur Hälfte gefüllten Glas. Ob es als halb voll oder halb leer angesehen wird, hängt vom Betrachter ab.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 16/2025 vom 22. September 2025, Online-Ausgabe
E-Mail: redaktion@das-blaettchen.de
Internet: https://das-blaettchen.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 17. Oktober 2025

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