Universitätsklinikum Tübingen - 12.05.2025
Künstliche Süßstoffe regen Hungersignale im Gehirn an
Künstliche Süßstoffe sind praktisch kalorienfrei und kommen immer häufiger in der Lebensmittelindustrie, zum Beispiel in Limonaden, zum Einsatz. Eine Studie unter Leitung der University of Southern California (USC) und mit Tübinger Beteiligung gibt nun Aufschluss darüber, welche Auswirkungen der übermäßige Konsum von künstlichen Süßstoffen, wie etwa Sucralose im Gehirn hat. Obwohl kalorienfrei, wirkt Sucralose im Gehirn appetitanregend, gerade bei Menschen mit Adipositas. An der Studie beteiligt waren Forschende des Universitätsklinikums Tübingen, von Helmholtz Munich und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD).
In der Lebensmittelindustrie werden künstliche Süßstoffe bereits seit
über 130 Jahren eingesetzt. So wurde 1878 der erste Süßstoff Saccharin
in Deutschland entdeckt. Der Umsatz der meist kalorienfreien
künstlichen Zuckerersatzstoffe hat insbesondere in den letzten Jahren
stark zugenommen. In Deutschland greift jeder und jede Zweite täglich
zu Produkten mit künstlichen Süßstoffen. Als Gründe dafür werden unter
anderem ein ernährungs- und kalorienbewusster Lebensstil aufgeführt.
Genau dieser Punkt scheint durch die neuen Studienergebnisse ins
Wanken zu geraten. Bereits 2023 hatte die Weltgesundheitsorganisation
in einer Empfehlung mitgeteilt, künstliche Süßungsmittel nicht als
Ersatzstoff für Zucker zu nehmen, wenn es um Gewichtsverlust geht.
Sucralose führt im Hypothalamus, einer wichtigen Schaltzentrale des Gehirns, zu einer gesteigerten Hirnaktivität. Dieser Bereich des Gehirns ist unter anderem für die Kontrolle der Nahrungsaufnahme und des Hungergefühls zuständig. Sucralose aktiviert genau diesen Bereich im Gehirn und das steht wiederum in Verbindung mit einer stärkeren Bewertung des Hungergefühls. "Künstliche Süßstoffe, wie in unserem Fall Sucralose, können die Appetitregulierung im Gehirn in einem Maße beeinflussen, der sich nachteilig auf das Gewicht auswirkt", erläutert Prof. Dr. Stephanie Kullmann aus der Tübinger Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Nephrologie.
Das Forschungsteam geht davon aus, dass künstliche Süßstoffe das Gehirn verwirren, indem sie ihm Signale der Süße senden, ohne die benötigten Kalorien zu liefern, die das Gehirn benötigt. Aus vorherigen Studien ist die Hypothese bereits bekannt, dass das Gehirn das Signal aussendet, mehr zu essen, wenn die versprochenen Kalorien nicht ankommen. An der Studie nahmen 75 Probandinnen und Probanden in den USA teil. Sie wurden gebeten, bei drei verschiedenen Terminen eines von drei Getränken zu trinken: Leitungswasser, gesüßtes Wasser mit Sucralose und gesüßtes Wasser mit Zucker. Sucralose ist etwa 600-mal süßer als herkömmlicher Zucker. Bei jedem Besuch untersuchte das Forschungsteam den Nüchternblutzuckerspiegel der Teilnehmenden, gefolgt von einem Hirnscan mittels der sogenannten funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI), die den Blutfluss verfolgt, um die Aktivität in verschiedenen Regionen des Gehirns zu erfassen. Nach dem ersten Scan tranken die Probandinnen und Probanden eines der drei Getränke und wurden danach wieder untersucht. Zusätzlich zu den Hirnscans wurden den Studienteilnehmenden noch Blutproben entnommen, nachdem sie die Getränke getrunken hatten, und sie sollten ihr individuelles Hungergefühl einschätzen.
Mittels der Selbsttests konnten die Forschenden festhalten, dass
Sucralose das Hungergefühl der Teilnehmenden um etwa 17 Prozent
steigert, insbesondere bei Probanden, die krankhaft übergewichtig
waren. Zudem konnte das Forschungsteam verstärkte Verbindungen zu
anderen Teilen des Gehirns belegen, die für die Steuerung der
Motivation verantwortlich sind. "Sucralose scheint die
Entscheidungsfähigkeit zu beeinträchtigen", stellt Studienleiterin
Prof. Kathleen A. Page von der USC fest. "Wir haben beispielsweise
eine erhöhte Gehirnaktivität zwischen dem Hypothalamus und dem
anterioren cingulären Cortex festgestellt, der die Risiken und
Vorteile einer Entscheidung steuert", ergänzt Prof. Kullmann. Eine
weitere Erkenntnis aus der Studie: "Die Bluttests haben gezeigt, dass
Sucralose keinen Einfluss auf die Hormone hat, die das Gehirn
verwendet, um uns mitzuteilen, wann wir satt sind und keinen Hunger
mehr haben", erläutert Prof. Kullmann.
Originalpublikation:
Chakravartti, S.P., Jann, K., Veit, R. et al.
Non-caloric sweetener effects on brain appetite regulation in individuals across varying
body weights.
Nat Metab 7, 574-585 (2025).
DOI: https://doi.org/10.1038/s42255-025-01227-8
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universitätsklinikum Tübingen - 12.05.2025
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E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 16. Mai 2025
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