Cochrane Deutschland - 19.10.2025
Cochrane Deutschland:
Patientenversorgung nach bestem verfügbaren Wissensstand bis heute nicht sichergestellt
Zum Welttag der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung am Montag, 20.10.2025
Bei der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung gibt es hierzulande Nachholbedarf: Darauf macht Cochrane Deutschland anlässlich des Welttags der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung am Montag, 20.10.2025, aufmerksam. "Patientinnen und Patienten in Deutschland haben Anspruch darauf, auf Grundlage vertrauenswürdiger wissenschaftlicher Evidenz behandelt zu werden - also nach dem besten verfügbaren Kenntnisstand", fordert Prof. Dr. med. Jörg Meerpohl, Direktor von Cochrane Deutschland in Freiburg. "Leider ist das aber bis heute nicht immer sichergestellt."
Dabei sei eine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung angesichts des Milliardendefizits der gesetzlichen Krankenkassen heute wichtiger denn je, so Meerpohl. "Wir müssen dafür sorgen, dass das knappe Geld für jene Therapien oder Untersuchungen ausgegeben wird, die erwiesenermaßen am besten helfen. Und das geht nur, wenn wir wirklich wissen, was wirkt - und was eben nicht."
Im Alltag aber stoßen Mediziner*innen, Pflegekräfte und anderes Gesundheitspersonal noch immer auf einige Hürden, wenn sie ihre Patient*innen nach dem aktuellsten Stand der Wissenschaft behandeln und betreuen möchten: "Es ist nämlich aus verschiedenen Gründen oft gar nicht so einfach, überhaupt an das beste verfügbare Wissen zu gelangen", so Meerpohl.
Hürde 1:
Das weltweit aktuellste Wissen zu Medizin- und Gesundheitsfragen liegt
häufig nicht gebündelt vor, sondern versteckt sich gewissermaßen
verstreut in vielen einzelnen Studien. Diese Studien müssen in so
genannten systematischen Evidenzsynthesen zusammengesucht, ausgewertet
und zusammengefasst werden. Für diese aufwändige Arbeit braucht es
aber Expert*innen: "Es kostet viel Zeit und Geld, die internationale
Studienlage in solchen Übersichtsarbeiten umfassend und
wissenschaftlich exakt zu bewerten und zusammenzufassen. Deswegen
brauchen Forschende dafür mehr öffentliche Fördergelder als bisher",
so Meerpohl. "Denn ohne ausreichende Förderung gibt es für viele
relevanten Fragen keine hochwertigen Evidenzsynthesen. Und ohne
hochwertige Evidenzsynthesen kann es keine vertrauenswürdigen
medizinischen Leitlinien für Ärztinnen und Ärzte geben - und also auch
keine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung."
Hürde 2:
Ein erheblicher Teil klinischer Studien weltweit bleibt
unveröffentlicht. "Das verschwendet nicht nur knappe
Forschungsgelder", so Meerpohl, "sondern verzerrt vor allem auch die
Faktenlage." Cochrane Deutschland fordert daher, dass neue Studien vor
ihrem Beginn verpflichtend registriert und ihre Ergebnisse zeitnah
veröffentlicht werden müssen. "Dazu braucht es verbindliche
Regelungen, deren Einhaltung auch überprüft wird", so Meerpohl. "Nur
so kann es uns gelingen, Forschung effizienter zu machen und das
Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft zu wahren."
Hürde 3:
Und selbst wenn es verlässliche, evidenzbasierte Informationen zu
Medizin- und Gesundheitsfragen gibt, die unabhängig von
Interessenskonflikten sind: Längst nicht immer sind sie frei
zugänglich und für jeden gut verständlich formuliert. "Eigentlich
brauchen wir zu jeder relevanten medizinischen Fragestellung
niederschwellige Patienteninformationen genauso wie kompakte
Zusammenfassungen für Politiker*innen sowie medizinische Leitlinien
und Fachartikel für Expert*innen im Gesundheitssystem", so Jörg
Meerpohl. "Und idealerweise sollten all diese Informationen kostenfrei
zur Verfügung stehen. Das ist aber heute nicht der Fall - gerade dann
nicht, wenn es um Fachpublikationen geht. Denn die liegen häufig
hinter den Bezahlschranken der Verlage."
Angesichts der großen Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen reicht es aber nicht aus, evidenzbasierte Gesundheitsinformationen besser verfügbar zu machen und im Alltag stärker zu nutzen. Vielmehr müssten dann auch Taten folgen, so Meerpohl, und zum Beispiel all jene medizinischen Maßnahmen und ihre Vergütung überprüft werden, deren Nutzen fraglich sei: "Gesundheitspolitische Entscheidungen werden meist in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld getroffen, in dem Evidenz nicht das einzige Argument ist. Aber sie dürfen den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ignorieren", so Meerpohl. "Denn wenn die verfügbare Evidenz konsequent berücksichtigt wird, können unnötige Behandlungen oder Untersuchungen vermieden werden. Und das würde sich doppelt lohnen: Die Patienten hätten weniger Aufwand - und unser Gesundheitssystem weniger Ausgaben."
Über Cochrane
Cochrane Deutschland mit Sitz in Freiburg ist Teil der weltweiten,
gemeinnützigen Cochrane Collaboration mit Sitz in London. Dieses
Netzwerk unabhängiger Wissenschaftler*innen erstellt systematische
Übersichtsarbeiten zu verschiedensten medizinischen und
gesundheitlichen Fragen - die so genannten Cochrane Reviews. Darin
fassen die Forschenden die internationale Studienlage zusammen und
bewerten deren Qualität. Ziel ist es, dadurch eine evidenzbasierte,
verlässliche Grundlage für medizinische und gesundheitspolitische
Entscheidungen zu schaffen. Seit seiner Gründung 1993 hat das Netzwerk
bereits mehr als 9000 Cochrane Reviews veröffentlicht.
Weitere Informationen:
https://www.cochrane.de/positionspapier-ebhc
(Positionspapier "Freien Zugang zu Wissen sicherstellen, evidenzbasierte Gesundheitsversorgung stärken")
https://worldebhcday.org/
(Englischsprachige Info-Seite zum Welttag der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung)
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
https://idw-online.de/de/institution2404
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Cochrane Deutschland - 19.10.2025
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 24. Oktober 2025
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