Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt - 01.04.2025
Zunehmende Antibiotikaresistenz: Sensoren für Superkeime
Antibiotika-resistente Bakterien verursachen zum Teil lebensgefährliche Infektionen, die mit den vorhandenen Medikamenten kaum noch zu behandeln sind. Damit werden häufige Erkrankungen wie Harnwegsinfektionen oder Hautwunden zum medizinischen Risiko. Empa-Forschende arbeiten daher an Sensoren, die resistente Keime schnell identifizieren und eine effiziente Behandlung empfehlen.
Die Ausbreitung von Antibiotika-resistenten Superkeimen stürzt die
medizinische Versorgung weltweit in eine Krise. Es wird geschätzt,
dass die Anzahl der Opfer von multiresistenten Bakterien im Jahr 2028
ähnlich hoch sein wird wie vor der Entdeckung des Penicillins 100
Jahre zuvor, verbunden mit Kosten im mehrstelligen Milliardenbereich.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt denn auch die «stille
Pandemie» eine der grössten Bedrohungen für die globale Gesundheit.
Befeuert wird die Ausbildung von Resistenzen, wenn vorschnell Antibiotika eingesetzt werden, ohne dass der zugrundeliegende Krankheitserreger zuvor identifiziert wurde. Nicht ganz unverständlich, denn: Bei der Diagnose mit zeitaufwändigen Methoden geht wertvolle Zeit verloren, so dass etwa in Notfallsituationen oft darauf verzichtet wird, entsprechende Laborergebnisse abzuwarten. Die mögliche Folge: Eine Behandlung bleibt wirkungslos, und das Risiko weiterer Resistenzentwicklungen steigt. Empa-Forschende arbeiten daher gemeinsam mit klinischen Partnern an innovativen Diagnostik-Tools wie Sensoren, die resistente Erreger rascher aufspüren und rechtzeitig eine massgeschneiderte Behandlung erlauben.
Multiresistente Bakterien finden sich besonders häufig bei im Spital erworbenen Infektionen wie einer Lungenentzündung. Ein Erreger, der eine derartige Pneumonie auslösen kann, ist Klebsiella pneumoniae. Für diesen Superkeim entwickelt die Empa-Forscherin Giorgia Giovannini vom «Biomimetic Membranes and Textiles»-Labor zusammen mit dem Kantonsspital St. Gallen derzeit einen Sensor, der fluoreszierendes Licht abstrahlt, wenn eine Klebsiella-Infektion vorliegt. Dabei reagiert der Sensor auf das Enzym Urease, das die Bakterien produzieren. Im Projekt «Doorstep» arbeiten die Forschenden an Polymerpartikeln, die einen fluoreszierenden Farbstoff umgeben. Zersetzt die bakterielle Urease das Polymer, kann der Farbstoff seine Leuchtkraft entfalten. Die Diagnostikmethode soll mit einem Rachenabstrich oder einer Sputum-Probe funktionieren. Dies würde es ermöglichen, die Erreger einer Lungenentzündung innert weniger Stunden anstelle von mehreren Tagen zu bestimmen.
Ein wichtiges Anwendungsgebiet für eine schnelle und präzise Diagnose von resistenten Erregern sind zudem infizierte Wunden. Sie verursachen nicht nur Schmerzen und Gewebeschäden - sie sind auch eine Brutstätte für antibiotikaresistente Superkeime. Ein Team um die Empa-Forschenden Luciano Boesel und Giorgia Giovannini startet jetzt gemeinsam mit dem Kantonsspital St. Gallen ein Projekt, in dem sie einen Multisensorverband für Wunden entwickeln möchten. Er basiert auf Silica-Nanopartikeln, die in einem widerstandsfähigen Hydrogel aus bioverträglichen Polymeren eingelagert sind. Die Sensortechnologie soll hierbei direkt in das Verbandmaterial integriert werden. Funktionalisiert werden die Nanopartikel mit Substanzen, die Ausscheidungen von bestimmten Bakterien spezifisch anzeigen können.
So sollen die Sensoren auf besonders gefürchtete Wundkeime wie
Staphylococcus aureus reagieren und eine Veränderung des
Säure-Base-Gleichgewichts in der Wunde anzeigen. Zudem soll das Risiko
einer Antibiotikaresistenz rasch sichtbar werden. Da hochpathogene
Wundkeime über das Enzym Beta-Lactamase verfügen, mit dem sie
bestimmte Antibiotika inaktivieren, enthält der Sensor Farbstoffe, die
durch dieses Enzym gespaltet werden. Produzieren resistente Bakterien
in der Wunde das Enzym, warnt der Sensor durch ein deutliches Leuchten
unter UV-Licht. Im Klinikalltag erlaubt der Wundsensor so eine
schnelle kostengünstige Diagnose und eine personalisierte
Wundbehandlung. Das Projekt wurde dank den grosszügigen Zuwendungen
der Philipp und Henny Bender Stiftung, der Blumenau-Léonie
Hartmann-Stiftung, der Hans Groeber-Stiftung sowie der Räschle
Stiftung ermöglicht.
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Bakterien im Fokus
Die Zahl multiresistenter Bakterienarten nimmt ständig weiter zu. Zu
den Bakterien, die zu Todesfällen aufgrund Antibiotikaresistenz
führen, gehören unter anderem Escherichia coli, Staphylococcus aureus,
Klebsiella pneumoniae, Streptococcus pneumoniae, Acinetobacter
baumannii und Pseudomonas aeruginosa. Falscher und übertriebener
Einsatz von Antibiotika leisten der Ausbreitung der Superkeime
Vorschub. 2019 wurden derartige Krankheitserreger mit rund fünf
Millionen Todesfällen in Verbindung gebracht. Die
Weltgesundheitsorganisation WHO hat sie daher zur Priorität für
Forschung und Entwicklung erklärt.
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Ein weiterer unangenehmer Vertreter aus dem Bakterienreich ist Pseudomonas aeruginosa. Das Stäbchenbakterium kann diverse Krankheiten hervorrufen, darunter Infektionen des Harntrakts etwa über Harnkatheter während eines Spitalaufenthalts. Und auch diese Erreger sind häufig resistent gegen diverse Antibiotika. Ein Team aus Forschenden der Empa und der ETH Zürich hat daher ein Verfahren mit magnetischen Nanopartikeln entwickelt, das die Bakterien schnell und präzise nachweist. Da die Magnetpartikel an Eiweissbausteine gekoppelt sind, die ausschliesslich mit Pseudomonas aeruginosa reagieren, können die Bakterienzellen schliesslich über ein Magnetfeld spezifisch aus dem Urin «gefischt» werden.
In einem nächsten Schritt wird die Empfindlichkeit der Erreger auf
verschiedene Antibiotika mit einem Chemilumineszenz-Verfahren
analysiert. Sind resistente Bakterien im Reagenzglas, strahlt die
Probe Licht ab. Lassen sich die Keime hingegen mit Antibiotika
abtöten, bleibt es dunkel. «Alles in allem dauert der Resistenztest
rund 30 Minuten - im Vergleich zu mehreren Tagen bei einer klassischen
Anzucht von Bakterienkulturen», so Qun Ren, Gruppenleiterin am
«Biointerfaces»-Labor der Empa in St. Gallen. So lässt sich innert
Kürze die passende Antibiotika-Therapie ermitteln - und dadurch die
Entstehung weiterer Resistenzen verhindern.
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Neuer Forschungs-Booster Antibiotikaresistenz
Antibiotikaresistenzen betreffen Menschen überall auf der Welt. Für
die Bekämpfung resistenter Bakterien stehen immer weniger wirksame
Medikamente zur Verfügung. Darum forscht die Empa an neuen Therapien
und diagnostischen Methoden. Im unlängst gestarteten «Research
Booster» Antibiotikaresistenz arbeiten mehrere Empa-Labore gemeinsam
mit Spitalpartnern im Kampf gegen die «stille Pandemie»
interdisziplinär zusammen, um Diagnose, Therapie und Prävention von
Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen voranzutreiben.
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Originalpublikation:
F Pan, S Altenried, S Scheibler, AHC Anthis, Q Ren;
Specific capture of Pseudomonas aeruginosa for rapid detection of antimicrobial
resistance in urinary tract infections;
Biosensors and Bioelectronics (2023);
https://doi.org/10.1016/j.bios.2022.114962
WC Albrich, CR Kahlert, S Nigg, LF Boesel, and G Giovannini;
Fluorescent Probe for the pH-Independent Rapid and Sensitive Direct
Detection of Urease-Producing Bacteria;
Analytical Chemistry (2024);
https://doi.org/10.1021/acs.analchem.4c05182
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
https://idw-online.de/de/institution1017
weitere Informationen:
www.empa.ch/web/amr
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt - 01.04.2025
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 4. April 2025
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