Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → AUSLAND


NAHOST/1096: Gaza - Bomben und Deportationspläne (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 20. März 2025
german-foreign-policy.com

Bomben und Deportationspläne

Berlin hält sich mit Kritik am Bruch des Gaza-Waffenstillstands durch Israel zurück. Dort und in den USA wird weiterhin die Zwangsdeportation der Palästinenser aus Gaza geplant. Die Bundesregierung droht zur Komplizin zu werden.


BERLIN/TEL AVIV - Die Bundesregierung hält sich mit Blick auf den israelischen Bruch der Waffenruhe im Gazakrieg sowie die erneuten Massaker dort mit Kritik weiterhin zurück. Während führende Repräsentanten der Vereinten Nationen sich "entsetzt" zeigten und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas die aktuellen israelischen Luftangriffe dort "inakzeptabel" nannte, plädierte Außenministerin Annalena Baerbock zunächst lediglich für "Verhältnismäßigkeit". Die Luftangriffe, bei deren erster Welle am Dienstag bereits 400 Menschen zu Tode kamen - so viele an einem Tag wie seit 2023 nicht mehr -, folgten dabei auf die seit dem 2. März andauernde, bis heute fortgesetzte Blockade des Gazastreifens für sämtliche Hilfslieferungen, die die mehr als zwei Millionen Menschen in dem abgeriegelten Gebiet der Zufuhr insbesondere von Nahrung und Medikamenten beraubt. Hinzu kommen inzwischen öffentlich vorgetragene Pläne der Trump-Administration, die Bevölkerung des Gazastreifens zwangsweise zu deportieren, um an der Küste Luxusresorts zu errichten. Kommt es zur faktischen Kontrolle des Trump-Immobilienclans über den Gazastreifen, dann wären die Hoffnungen Berlins auf größeren Einfluss in Nahost in Gefahr.

Hunger als Waffe

Bereits vor dem Bruch des Waffenstillstands hatte die vollständige Blockade sämtlicher Hilfslieferungen in den Gazastreifens, die Israel am 2. März neu gestartet hatte, die ohnehin katastrophale Lage der Bevölkerung dramatisch verschlechtert. Wie UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher am Dienstag bestätigte, gelangen seit zweieinhalb Wochen keinerlei Nahrung, Medikamente, Treibstoffe und Kochgas mehr in das abgeriegelte Gebiet. Verletzte und Kranke können nur noch teilweise ärztlich behandelt werden; weil Entsalzungsanlagen außer Betrieb sind, ist immer weniger sauberes Wasser vorhanden. Die WHO warnt einmal mehr, abgesehen vom grassierenden Nahrungsmangel drohe eine Ausbreitung von Seuchen.[1] Wie Fletcher konstatiert, verstößt es gegen internationales Recht, der Zivilbevölkerung Nahrung, Wasser und Medikamente systematisch vorzuenthalten: "Das muss sofort beendet werden." Zu Wochenbeginn hatte für Aufmerksamkeit gesorgt, dass der britische Außenminister David Lammy erstmals öffentlich bestätigt hatte, Israel verstoße mit der kompletten Blockade von Hilfslieferungen für Gaza offen gegen internationales Recht.[2] Eine entsprechende offizielle Einstufung der israelischen Blockade ist aus Berlin nicht bekannt. Allerdings hat auch in London Premierminister Keir Starmer Lammys Äußerung inzwischen wieder relativiert.[3]

Waffenruhe gebrochen

Am Dienstag hat Israel auch die Waffenruhe im Gazakrieg gebrochen - mit der Begründung, die Hamas sei nicht bereit, seinen jüngsten Forderungen nach einer sofortigen Freilassung sämtlicher Geiseln unter Abkehr von den ausgehandelten Waffenstillstandsbedingungen nachzukommen. Die in der Waffenstillstandsvereinbarung festgelegten Verhandlungen hatte Israel erst wochenlang verschleppt und dann mit der Wiederaufnahme der Luftangriffe eingestellt. Letztere erfolgte nach einem Bericht des Wall Street Journal mit Zustimmung von US-Präsident Donald Trump, der erklärt hat, auf den Trümmern des zerstörten Gazastreifens nach Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung Luxusresorts errichten zu wollen.[4] Bei der Auswahl ihrer Ziele für die Luftangriffe bezogen die israelischen Streitkräfte die Tatsache ein, dass während des islamischen Fastenmonats Ramadan muslimische Familien nach Sonnenuntergang zum Fastenbrechen zusammenkommen. Offenkundig wurden absichtsvoll Orte bombardiert, an denen sich die Familien führender Hamas-Funktionäre eingefunden hatten. Damit erklären Beobachter die hohe Zahl an Frauen und Kindern unter den Todesopfern.[5] Insgesamt kamen über 400 Palästinenser ums Leben. Bereits zuvor hatten die palästinensischen Behörden die Zahl der palästinensischen Todesopfer seit Kriegsbeginn mit rund 48.000 angegeben.

Internationale Reaktionen

Gegen die Wiederaufnahme der Luftangriffe gingen schon am Dienstag in Israel zahlreiche Angehörige der Geiseln und ihre Unterstützer auf die Straße und forderten das sofortige Ende der Bombardements. Entsetzte Reaktionen kamen von den Vereinten Nationen. UN-Generalsekretär António Guterres beklagte das "unerträgliche Niveau an Leid", das der Bevölkerung des Gazastreifens zugefügt werde.[6] UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk äußerte, er sei "entsetzt" über die Luftangriffe und fordere eine sofortige Einstellung.[7] Mittlerweile hat auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas Protest eingelegt und gegenüber Israels Außenminister Gideon Saar erklärt, die erneuten Luftangriffe seien "inakzeptabel".[8] Mit Lob über die Angriffe reagierte dagegen Israels extreme Rechte. Israels Finanzminister Bezalel Smotrich von der Partei Religiöse Zionisten sagte, das Ziel, dessentwegen er in der Regierung verblieben sei, sei erreicht. Der Vorsitzende der Partei Jüdische Stärke, Itamar Ben-Gvir, erklärte, jetzt seien für ihn die Voraussetzungen gegeben, in die israelische Regierung zurückzukehren.[9] Außenministerin Annalena Baerbock begnügte sich mit der unverbindlichen Mitteilung, sie plädiere für "Verhältnismäßigkeit" und die Wahrung des internationalen Rechts.[10]

Massendeportationspläne

Erst Ende vergangener Woche war bekanntgeworden, dass israelische und US- amerikanische Stellen die Suche nach Ländern konkret vorantreiben, in die sie die Bevölkerung des Gazastreifens, mehr als zwei Millionen Menschen, zwangsdeportieren könnten, um die Pläne des Trump-Clans zu realisieren, in Gaza Luxusresorts zu errichten. So berichtete etwa die Nachrichtenagentur AP, Repräsentanten beider Staaten hätten ihre Fühler nach Somalia und in das von diesem abgespaltene Somaliland ausgestreckt; US-Stellen hätten zudem im Sudan ihr Interesse bekundet, das Land als Deportationsziel für die Palästinenser zu nutzen.[11] Stellen im Sudan bestätigten dies; demnach erhielten sie bereits vor Trumps Amtsantritt erste Angebote über militärische Unterstützung im sudanesischen Bürgerkrieg, sollten sie sich zur Aufnahme der deportierten Palästinenser bereiterklären. Somalia und Somaliland streiten ab, offizielle Gespräche geführt zu haben. Aus dem Weißen Haus wird bestätigt, Trump halte unverändert an den Deportationsplänen fest.[12] Diese entstammen Israels extremer Rechter, die sie unter dem zynischen Begriff "freiwillige Auswanderung" propagiert. Zu ihren Befürwortern gehört seit langem Finanzminister Smotrich. Zur Zeit finden sie Eingang in die israelische und in die US-amerikanische Regierungspolitik.

Komplizin

Die Bundesregierung hat die israelische Kriegsführung im Kern stets unterstützt und allenfalls vorsichtige, dabei stets unverbindliche Manöverkritik an einigen Exzessen geübt. Zudem nimmt sie Ministerpräsident Benjamin Netanjahu persönlich in Schutz, gegen den ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) läuft. Der mutmaßliche künftige Bundeskanzler Friedrich Merz hat in Aussicht gestellt, Netanjahu nach Deutschland einladen zu wollen, ohne den gegen ihn verhängten IStGH-Haftbefehl umzusetzen. Dass dies illegal wäre, haben jetzt die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags bestätigt.[13] Experten weisen darauf hin, dass es gangbare Wege dazu gebe - etwa einen "Eingriff in den Verwaltungsablauf zur Umsetzung der Festnahme und Überstellung" -, dass dies aber nur in einem offenen Rechtsbruch möglich wäre.[14] Käme es tatsächlich zur Zwangsdeportation der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens, dann machte sich die Bundesregierung bei einem Festhalten an ihrem bisherigen Kurs auch noch zur Komplizin eines weiteren Massenverbrechens.

Einfluss in Gefahr

Dabei zeichnet sich aktuell ab, dass die bisherige, zu Zeiten der Biden- Administration klar erkennbare Perspektive, Deutschland könne im Nahen Osten in Kooperation mit Israel einen stärkeren Einfluss erlangen [15], sich womöglich zerschlägt. Sollte der Trump-Clan einen entvölkerten Gazastreifen faktisch kontrollieren - dies in Kooperation mit einer extrem rechts orientierten israelischen Regierung -, dann wären die Aussichten auf eine stärkere deutsche Stellung in der Region recht dünn; jedenfalls, solange die Bundesregierung, wie es aktuell der Fall ist, darüber nachdenkt, sich in einen offenen Konflikt mit der Trump-Administration zu begeben (german-foreign-policy.com berichtete [16]). Ob dies in Berlin zu etwaigen Kurskorrekturen führt, ist noch nicht abzusehen.


Anmerkungen:

[1] Ephrem Kossaify: UN humanitarian chief appeals for aid access as Gaza faces 'total' blockade. arabnews.com 18.03.2025.

[2] George Grylls: Israel is breaking international law in Gaza, UK says for first time. thetimes.com 17.03.2025.

[3] Noah Keate: UK rows back on claim Israel's Gaza aid blockade is illegal. politico.eu 18.03.2025.

[4] Feliz Solomon, Abeer Ayyoub, Carrie Keller-Lynn: Israeli Strikes Kill Hundreds, Tipping Gaza Back Toward War. wsj.com 18.03.2025.

[5] Christian Meier: Von den Geiselfamilien will die Regierung nichts mehr hören. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.03.2025.

[6] Jennifer Rankin, Oliver Holmes: World leaders express outrage at Israel's renewed bombing of Gaza civilians. theguardian.com 18.03.2025.

[7] Comment by UN Human Rights Chief Volker Türk on the Israeli airstrikes on Gaza. ohchr.org 18.03.2025.

[8] Nava Freiberg: EU tells Israel renewed fighting in Gaza is 'unacceptable'. timesofisrael.com 19.03.2025.

[9] Christian Meier: Von den Geiselfamilien will die Regierung nichts mehr hören. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.03.2025.

[10] Hunderte Tote bei Luftangriffen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.03.2025.

[11], [12] Josef Federman, Matthew Lee, Samy Magdy: US and Israel look to Africa for moving Palestinians uprooted from Gaza. apnews.com 14.03.2025.

[13] Pauline Jäckels: Wissenschaftlicher Dienst: Netanjahu müsste verhaftet werden. nd-aktuell.de 17.03.2025.

[14] Max Kolter: Freies Geleit mit der Brechstange. lto.de 26.02.2025.

[15] S. dazu EU will "Schlüsselrolle in Nahost"
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9415
und "Im nationalen Interesse Deutschlands".
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9693

[16] S. dazu Drohnenwall über der NATO-Ostflanke.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9909


Link zur Erstveröffentlichung:
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9912

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 21. März 2025

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang