Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 26. März 2025
german-foreign-policy.com
"Amerikanische Waffen vermeiden"
Debatte um Beschaffung des US-Kampfjets F-35 in Deutschland und weiteren NATO-Staaten spitzt sich zu. Die F-35 kann nur mit Zustimmung Washingtons eingesetzt werden. Berlin ist in der Frage gespalten.
BERLIN/WASHINGTON/PARIS - Die Debatte um einen möglichen Ausstieg aus der Beschaffung des US-Kampfjets F-35 in Deutschland und in anderen Staaten Europas spitzt sich zu. Hintergrund ist, dass der Jet nur mit Zustimmung der US-Regierung eingesetzt werden kann und Knebelbestimmungen etwa in puncto Ersatzteile und Software es unmöglich machen, bei militärischen Operationen mit der F-35 aus der Abhängigkeit von den USA auszubrechen. Ein konservativer Parlamentsabgeordneter aus Dänemark warnt, die Trump-Administration könne die dänischen F-35 durch die Verweigerung von Wartung und Ersatzteilen lahmlegen und Kopenhagen damit zum Verzicht auf Grönland zu nötigen suchen. Portugal denkt bereits darüber nach, anstelle des US-Kampfjets ein anderes Flugzeug zu beschaffen. In Frage käme die französische Rafale. Deren Hersteller Dassault Aviation hofft jetzt auf Milliardengeschäfte. In Berlin dringen insbesondere überzeugte Transatlantiker darauf, aus der F-35-Beschaffung auszusteigen, um militärische Unabhängigkeit zu erreichen. Für die nukleare Teilhabe, in deren Rahmen deutsche Jets US-Atombomben abwürfen, ist keine Alternative zur F-35 in Sicht. Allerdings steht auch die nukleare Teilhabe zur Debatte.
In der vergangenen Woche war ein Exemplar des Kaufvertrags für die 35 Kampfjets F-35, die zu beschaffen Berlin im März 2022 beschlossen hatte, an die Zeitschrift Stern durchgestochen worden.[1] Darüber hinaus wurden Angaben zu den Rahmenbedingungen des gut 8,3 Milliarden Euro teuren Kaufs bekannt. Dieser wird im Rahmen des Foreign Military Sales-Verfahrens (FMS) abgewickelt, das strikten Regeln unterliegt. Der F-35-Kaufvertrag erlaubt Washington, "wenn es das nationale Interesse der USA verlangt", ohne weiteres "die Leistungserbringung ganz oder zum Teil zu kündigen oder auszusetzen".[2] Die USA dürfen damit den Lieferzeitraum und die Liefermenge jederzeit einseitig ändern. Vertragsstrafen sind im FMS-Verfahren prinzipiell nicht vorgesehen; der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Ist ein F-35-Kampfjet ausgeliefert, dann sind keinerlei Veränderungen mehr an ihm erlaubt; Ersatzteile sowie die regelmäßig erforderlichen Software-Updates dürfen ausschließlich über den US-Hersteller Lockheed Martin bezogen werden. Im Kaufvertrag heißt es: "Der Auftraggeber ist nicht befugt, Instandsetzungen und über die Truppeninstandsetzungsebene hinausgehende Wartungsarbeiten durchzuführen." Bereits damit ist praktisch gewährleistet, dass die F-35 der deutschen Luftwaffe nur fliegen, wenn die US-Administration es will.
Es kommt hinzu, dass die Kernsoftware für die F-35 geheimgehalten wird. Ob der Jet von außen beeinflusst werden kann, ist deshalb nicht überprüfbar; viele gehen freilich davon aus. Die Daten, die während des Betriebs und insbesondere auch während etwaiger Einsätze anfallen, werden gesammelt und müssen anschließend bei Amazon Web Services gespeichert werden; damit sind sie für US-Stellen ohne besonderen Aufwand zugänglich. Nicht zuletzt erlaubt der US-amerikanische Foreign Assistance Act den Vereinigten Staaten jederzeit die "Überwachung der Endverwendung" der F-35. "Alle Missionen, die wir vorhaben, sehen die", zitiert die Zeitschrift "Stern" einen "gut informierte[n]" Bundestagsabgeordneten: "Ziele, Routen, indirekt auch Taktiken - immer sind US-Techniker am Flugzeug dabei."[3] Ein "Insider ... mit Geheimdienstwissen" bestätigte dem Blatt ausdrücklich: "Die gesamte Missionsplanung wird in den USA überwacht." Christian Mölling, Experte für Militär sowie für Militärpolitik, aktuell bei der Bertelsmann Stiftung tätig, plädiert explizit dafür, die Bundesregierung müsse "sicherstellen", dass die F-35-Jets auch dann "nutzbar" seien, wenn Washington einen konkreten Einsatz ablehne. Wie das durchsetzbar sein soll, ist allerdings nicht ersichtlich.
Seit der vergangenen Woche werden in Europa die Rufe lauter, nach Möglichkeit auf die Beschaffung von F-35-Jets zu verzichten oder, wenn ein Vertragsabschluss schon erfolgt ist, aus der Vereinbarung auszusteigen. Auslöser waren einerseits die Entscheidung der Trump-Administration, der Ukraine die Nutzung von US-Satellitendaten zu untersagen, andererseits die fortgesetzten Bestrebungen Washingtons, sich das zu Dänemark gehörende autonome Gebiet Grönland unter den Nagel zu reißen. So erklärte beispielsweise der konservative dänische Parlamentsabgeordnete Rasmus Jarlov auf X, er bedaure es jetzt, die Entscheidung zum Kauf von 27 F-35-Jets für Dänemarks Luftwaffe mitgetragen zu haben. Er könne sich ohne weiteres "eine Situation vorstellen, in der die USA von Dänemark Grönland einfordern und drohen, unsere Waffen zu deaktivieren". Kopenhagen wäre dann nicht mehr in der Lage, sich zu verteidigen. US-Waffen zu kaufen sei deshalb "ein Sicherheitsrisiko, das wir nicht eingehen können". Dänemark werde in den kommenden Jahren riesige Summen in die Aufrüstung stecken - "und wir müssen amerikanische Waffen vermeiden, wo dies nur irgend möglich ist". "Ich fordere unsere Verbündeten und Freunde auf", schloss Jarlov den Post, "dasselbe zu tun".
Erste NATO-Staaten ziehen inzwischen den Verzicht auf die F-35 in Betracht. Kanada etwa erwägt einen Ausstieg aus der Beschaffung der F-35, hat allerdings 16 Kampfjets, die Anfang kommenden Jahres geliefert werden sollen, bereits bezahlt.[4] Portugal, das bislang ebenfalls vorhatte, den US-Kampfjet zu kaufen, ist laut Aussage seines Verteidigungsministers Nuno Melo dabei, es sich anders zu überlegen.[5] Der französische Konzern Dassault Aviation hat der portugiesischen Regierung inzwischen angeboten, Rafale-Jets zu liefern.[6] Die Rafale ist ein Kampfjet der vierten Generation, nicht der fünften wie die F-35; sie ist allerdings billiger, und sie kommt vollständig ohne US-Bauteile aus, bietet also Unabhängigkeit von den USA. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat bereits am 16. März dafür plädiert, die Staaten Europas sollten grundsätzlich von der F-35 auf die Rafale umsatteln; zudem stehe - als Ersatz für das US-Flugabwehrsystem Patriot - das neue französisch-italienische Flugabwehrsystem SAMP/T zur Verfügung.[7] Eine gewisse Schwierigkeit liegt darin, dass eine ganze Reihe europäischer NATO-Staaten bereits F-35-Jets besitzt, so etwa Großbritannien, Norwegen, die Niederlande, Belgien und Italien. Viele weitere haben das Flugzeug verbindlich bestellt, darunter die offiziell neutrale Schweiz. Das erschwert den Ausstieg.
Widersprüchliche Stimmen werden in Deutschland laut. Dabei gehen vor allem überzeugte Transatlantiker zur Beschaffung der F-35 auf Distanz. "Niemand braucht eine F-35", erklärte bereits in der vergangenen Woche Thomas Enders, früher Airbus-Chef, heute Präsident der einflussreichen Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP); Enders äußerte, er würde sie "als Erstes streichen unter diesen neuen geopolitischen Bedingungen".[8] Auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter plädierte dafür, "bestehende Verträge mit den USA [zu] überprüfen", etwa den F-35-Kaufvertrag; es sei "absolut zwingend, sich bereits jetzt nach Alternativen umzusehen".[9] Verteidigungsminister Boris Pistorius dagegen spricht sich dafür aus, an der F-35-Beschaffung festzuhalten. Er begründet dies unter anderem mit der nuklearen Teilhabe, in deren Rahmen Kampfjets der deutschen Luftwaffe im Kriegsfall US-Atombomben abwerfen könnten.[10] Beobachter weisen darauf hin, dass der Abwurf von US-Kernwaffen ohnehin nur auf Kommando aus Washington möglich ist und es daher für die F-35, insofern sie allein für die nukleare Teilhabe bereitstehen, keine Rolle spielt, ob sie von den Vereinigten Staaten lahmgelegt werden können. Allerdings gilt mittlerweile auch die nukleare Teilhabe als nicht mehr zuverlässig gesichert (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Berlin hat in Vorleistung für die F-35 bereits rund 2,42 Milliarden US-Dollar nach Washington überwiesen und mit kostspieligen Umbauten am Fliegerhorst Büchel begonnen, wo die US-Kampfjets stationiert werden sollen. Berlin steckt daher in der Klemme.
Anmerkungen:
[1] Sondervermögen: Bundeswehr kann 35 F-35A für rund 8,3 Milliarden Euro
kaufen. bmvg.de 14.12.2022.
S. auch Festtage für die Rüstungsindustrie (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8879
[2], [3] Christian Schweppe: Könnte Trump verhindern, dass die neuen Kampfjets F-35 abheben? stern.de 20.03.2025.
[4] Murray Brewster: Canada reconsidering F-35 purchase amid tensions with Washington, says minister. cbc.ca 14.03.2025.
[5] F-35: Europeos receiam que os americanos "desliguem" as armas, o chamado "kill switch". auto.sapo.pt 25.03.2025.
[6] Baptiste Morin, Nicolas Cuoco: Éric Trappier, PDG de Dassault Aviation : " Nous étudions la possibilité de produire cinq Rafale par mois ". lejdd.fr 23.03.2025.
[7] Giorgio Leali: Macron to EU colleagues: Stop buying American, buy European. politico.eu 16.03.2025.
[8] Gerald Braunberger, Sven Astheimer, Niklas Záboji: "Niemand braucht
eine F-35". faz.net 16.03.2025.
S. auch Drohnenwall über der NATO-Ostflanke.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9909
[9] Kampfjet-Kauf: Geheime Klauseln für die USA. t-online.de 21.03.2025.
[10] Pistorius hält an Kauf von F35-Kampfjets fest. tagesschau.de 21.03.2025.
[11] S. dazu Alte Fesseln lösen.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9918
Link zur Erstveröffentlichung:
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9921
*
Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 28. März 2025
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