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STANDPUNKT/1073: Vom Recht auf Angriffskrieg (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 16. Juni 2025 german-foreign-policy.com

Vom Recht auf Angriffskrieg

Berlin billigt Israels Angriffskrieg gegen Iran. Völkerrechtler stufen ihn und die Ermordung iranischer Nuklearwissenschaftler als völkerrechtswidrig ein. Berlin hat ähnliche Verbrechen schon zuvor toleriert, etwa im Anti-Terror-Krieg.


BERLIN/TEL AVIV/TEHERAN - Die Bundesregierung billigt Israels völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Iran und übt keine Kritik an der Ermordung ziviler Wissenschaftler durch die israelischen Streitkräfte. Bundeskanzler Friedrich Merz erklärte bereits am Freitag kategorisch zu dem Überfall auf Iran: "Wir bekräftigen, dass Israel das Recht hat, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen." Wie aus einer Vielzahl von Stellungnahmen bekannter Völkerrechtler hervorgeht, ist ein Präventivschlag nach Art des israelischen Überfalls auf Iran allenfalls erlaubt, wenn er einen überwältigenden Angriff verhindert, der unmittelbar bevorsteht und anders nicht abgewendet werden kann. Dies war hier nicht der Fall; zudem befand sich Iran in laufenden Atomverhandlungen mit den USA. Auch die gezielte Tötung iranischer Atomwissenschaftler sei völkerrechtlich durch nichts zu rechtfertigen, konstatiert ein US-Experte. Verschiedene Bundesregierungen von Rot-Grün bis zu einer Koalition aus Union und FDP haben in der Vergangenheit Verbrechen enger Verbündeter gedeckt, so die Verschleppung von Terrorverdächtigen in Folterverliese durch die CIA oder US-Drohnenmorde in aller Welt.

Nukleardeal sabotiert

Israel hatte den Angriff auf Iran in der Nacht zum vergangenen Freitag mit der Behauptung begründet, Teheran stehe unmittelbar davor, den Bau einer Atombombe zu vollenden; hindere man es jetzt nicht daran, gebe es keine Möglichkeit mehr dazu. Allerdings sind Belege für die Behauptung nicht bekannt. Bekannt ist vielmehr, dass die Vereinigten Staaten noch mitten in Verhandlungen mit Iran über eine friedliche Beilegung des Atomkonflikts steckten; die nächste Verhandlungsrunde war - auf Seiten der USA unter Führung des Sondergesandten Steve Witkoff - für den gestrigen Sonntag in Oman geplant. Noch am Donnerstag hatte US-Präsident Donald Trump bekräftigt: "Wir setzen uns weiterhin für eine diplomatische Lösung der Atomfrage ein! Meine ganze Regierung ist angewiesen, mit Iran zu verhandeln."[1] Die Einschätzung, es sei Israel nicht darum gegangen, den Bau einer Atombombe zu verhindern, sondern vielmehr darum, den Verhandlungsprozess zum Scheitern zu bringen, werde von einer ganzen Reihe westlicher Experten "geteilt", hieß es am gestrigen Sonntag etwa in der New York Times.[2] Als eine Bestätigung für die Einschätzung darf gelten, dass Israel in der ersten Angriffswelle Ali Shamkhani umbrachte; dieser hatte keine militärische Funktion inne und galt auf iranischer Seite als führender Kopf bei den Nuklearverhandlungen.[3]

"Ein verbotener Präventivschlag"

Völkerrechtler stufen Israels Angriff auf Iran weithin als völkerrechtswidrig ein. So wird etwa Tom Dannenbaum, Professor für internationales Recht an der Fletcher School of Law & Diplomacy, mit Bezug auf die Tatsache, dass ein Präventivschlag allenfalls bei einem unmittelbar bevorstehenden, überwältigenden Angriff zulässig sein kann, mit der Feststellung zitiert: "Es wird [von israelischer Seite, d. gfp-Red.] nicht einmal ein Angriff behauptet, der diese Kriterien erfüllt."[4] Matthias Goldmann, Professor für internationales Recht an der EBS University in Wiesbaden, konstatiert, selbst wenn Iran "über Nuklearwaffen" verfüge, könne das "keinen Angriff" rechtfertigen: "Der israelische Angriff auf den Iran stellt den geradezu klassischen Fall eines verbotenen Präventivschlags dar."[5] Kai Ambos, Professor an der Georg-August-Universität Göttingen, warnt, sofern man wirklich den israelischen Angriff als einen zulässigen Präventivschlag werten und damit "die Schwelle für Selbstverteidigung immer weiter nach vorne verlagern" wolle, "wird das Gewaltverbot - eine Fundamentalnorm des Völkerrechts - praktisch bedeutungslos". Dann könne "jeder Staat aufgrund eines bloßen Bedrohungsgefühls selbst" entscheiden, "wann er militärische Gewalt anwenden kann".[6]

"Solidarisch begleiten"

Letzteren Weg geht die Bundesregierung. Bundeskanzler Friedrich Merz hat am Freitag offiziell erklärt: "Wir bekräftigen, dass Israel das Recht hat, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen."[7] Außenminister Johann Wadephul äußerte sich ebenfalls am Freitag weitgehend identisch und fügte hinzu, Berlin werde Israel "solidarisch begleiten".[8] Die Position der Bundesregierung wiegt umso schwerer, als Israel schon in seiner ersten Angriffswelle nicht nur mehrere Generäle an der Spitze der iranischen Streitkräfte sowie der Revolutionsgarde ganz ohne vorherige Kriegserklärung gezielt umgebracht hat, sondern auch Shamkhani und mindestens zwei Wissenschaftler, denen es lediglich vorwirft, am iranischen Nuklearprogramm mitgearbeitet zu haben. Der US-Völkerrechtler Dannenbaum weist darauf hin, dass auch Atomwissenschaftler, solange sie keine regulären Mitglieder der Streitkräfte sind, im internationalen Recht als Zivilisten gelten und nicht angegriffen werden dürfen; dies gelte auch für ihre Wohnungen, erläutert Dannenbaum auf X. Damit ist ihre Tötung keine reguläre Kriegshandlung, sondern Mord respektive ein Kriegsverbrechen. Auch dies kritisiert die Bundesregierung mit keinem Wort.

Folterverschleppung und Drohnenmorde

Die deutsche Billigung des israelischen Angriffskriegs gegen Iran und der Staatsmorde an iranischen Zivilisten ist kein Ausfluss einer ominösen "Staatsräson", sondern eine keinesfalls präzedenzlose Duldung schwerster Verbrechen, wie sie Bundesregierungen verschiedenster Couleur in der Vergangenheit auch anderen Staaten haben zukommen lassen, allen voran den USA. So tolerierte etwa die damalige rot-grüne Bundesregierung ab dem Herbst 2001 die Verschleppung von Verdächtigen in Folterverliese, wie sie damals unter Führung der CIA im Namen des sogenannten Kriegs gegen den Terror an zahlreichen Muslimen begangen wurde, darunter nachweislich Unschuldige. In eine ganze Reihe von Fällen war Berlin sogar aktiv involviert; verantwortlich war unter anderem der damalige Chef des Bundeskanzleramts, der wie alle Amtsträger in seiner Funktion für den Auslandsnachrichtendienst zuständig war - Frank-Walter Steinmeier.[9] In späteren Jahren tolerierten die Große Koalition und die auf sie folgende Koalition aus Union und FDP die Drohnenmorde an Terrorverdächtigen im Ausland, die die US-Regierung ganz besonders unter Barack Obama in neue Dimensionen steigerte, obwohl sie völkerrechtswidrig waren und zahllose Zivilisten das Leben kosteten. Auch dabei waren Berliner Regierungsstellen partiell involviert (german-foreign-policy.com berichtete [10]).

Ultrarechte Politik

Im Fall des völkerrechtswidrigen israelischen Angriffs auf Iran und der gezielten Ermordung mehrerer unbeteiligter Zivilisten kommt hinzu, dass Israels aktuelle Regierung, die die Taten verantwortet, eine Reihe extrem rechter Minister beinhaltet und dass ihre tragende Kraft, der Likud von Premierminister Benjamin Netanjahu, begonnen hat, offen mit Parteien der extremen Rechten in Europa zusammenzuarbeiten - mit den Parteien der Patriots for Europe (PfE), zu denen unter anderem der französische Rassemblement National (RN) und die FPÖ zählen. Bei den PfE hat der Likud seit Februar Beobachterstatus.[11] Israels Diasporaminister Amichai Chikli lud im März zu einer Konferenz gegen Antisemitismus einige Repräsentanten von PfE-Parteien ein; sogar eine Kooperation mit der AfD gilt ihm nicht mehr als Tabu.[12] Die ultrarechte Regierung in Tel Aviv verantwortet Angriffe auf fünf Staaten der Region - auf den Libanon, Syrien, den Irak, Iran, den Jemen - wie auch Angriffe auf die palästinensischen Territorien, die von der großen Mehrheit der UN-Mitglieder als Staat Palästina anerkannt werden. Die Vorwürfe lauten unter anderem auf Genozid. Deutschland ist mittlerweile wegen Beihilfe zum Genozid beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag angeklagt.[13] Berlin stört sich daran nicht.


Anmerkungen:

[1] How Israel's Strike on Iran Is Affecting Global Markets. newsweek.com 13.06.2025.

[2] Farnaz Fassihi, Ronen Bergman, Aaron Boxerman: Israel Killed Iran's Top Chain of Command in One Night. nytimes.com 12.06.2025.

[3] Diplomacy with Iran is damaged, not dead. nytimes.com 15.06.2025.

[4], [5] Franziska Kring: Wie Israel und Iran das Völkerrecht angreifen. lto.de 14.06.2025.

[6] Alexander Haneke: Wann ist ein Präventivschlag erlaubt? Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.06.2025.

[7] Bundeskanzler Merz zu den israelischen Angriffen auf Einrichtungen im Iran. bundesregierung.de 13.06.2025.

[8] Matthias Wyssuwa: Schwierige Tage für Diplomatie. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.06.2025.

[9] S. dazu Präsidiable Politik.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7213

[10] S. dazu Zur Tötung vorgeschlagen
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6517/
und Drohnenmorde vor Gericht.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7893

[11] S. dazu "Das Zeitalter der Patrioten".
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9992

[12] S. dazu Zu Gast in Israel.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9929

[13] S. dazu Deutschland vor Gericht.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9926


Link zur Erstveröffentlichung:
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/10016

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 20. Juni 2025

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