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STELLUNGNAHME/124: Koalitionsvertrag gefährdet Rechtsstaat (RAV)


Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
Pressemitteilung vom 10.04.2025

Koalitionsvertrag gefährdet Rechtsstaat

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) erklärt zum am Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag:


"Durch diesen Koalitionsvertrag zieht sich ein roter Faden: Freiheitsrechte werden beschränkt und rechtsstaatliche Errungenschaften abgebaut", so RAV-Geschäftsführer Lukas Theune.

Justiz und Verfahrensrechte

Unter dem Vorwand, Gerichtsverfahren beschleunigen zu wollen, kommen rechtsstaatliche Verfahrensgarantien unter Druck. Angekündigt wird etwa eine Begrenzung des Zugangs zur Berufungsinstanz und die Ausweitung der sogenannten "Präklusion", das heißt den Ausschluss von relevanten, aber "zu spät" im Verfahren vorgebrachten Argumenten. Diese Begrenzung ist nicht nötig, Gerichte können schon jetzt durch Fristvorgaben die Prozesse strukturieren.

Der Ausschluss relevanter Argumente durch gesetzliche Präklusionsvorschriften kann schnell zu materiell-inhaltlich unrichtigen bzw. zu ungerechten Entscheidungen der Justiz führen. Bestehende Präklusionsvorschriften, etwa in umweltrechtlichen Verfahren, haben keineswegs zu einer Beschleunigung des Verfahrens, sondern in erster Linie zu einer Beschränkung rechtsstaatlicher Kontrolle geführt.

Gefahr durch Abschaffung des Amtsermittlungsgrundsatzes

In dieselbe Richtung weist die Ankündigung unter Rn. 2053, den seit jeher im Verwaltungsprozess geltenden Amtsermittlungsgrundsatz offenbar einschränken und auf Parteivortrag "konzentrieren" zu wollen. Das ist problematisch, denn Bürger*innen stehen einzeln einem hoheitlich handelnden Staat gegenüber, der über erhebliche Machtressourcen verfügt. Der Amtsermittlungsgrundsatz soll in diesen Fällen sicherstellen, dass Gerichte den Sachverhalt umfassend aufklären können. Dies aufzugeben bedeutet auch, die Bindung der Institutionen an Recht und Gesetz zu schwächen.

Massive Einschränkung von Verfahrensrechten

Die Koalition will den Rechtsschutz speziell in umweltrechtlichen Verfahren weiter schleifen und stellt unter den Rn. 2111 bis 2131 massive Einschränkungen von Verfahrensrechten von Umweltverbänden und der Öffentlichkeit (z.B. bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP) in Aussicht. Bei bestehenden europa- und völkerrechtlichen Garantien (Aarhus-Konvention, UVP-Richtlinie) will die Bundesregierung sogar auf deren Abbau hinwirken. Auch hier wird mit angeblicher Beschleunigung argumentiert.

Die Vorgehensweise ist in vielerlei Hinsicht falsch: So sind mehr als 50 Prozent der Umweltverbandsklagen erfolgreich (im Gegensatz zu einer Erfolgsquote von 17 Prozent in sonstigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren). Das belegt, dass Umweltverbände ihr Klagerecht verantwortungsvoll und zielgerichtet ausüben.

Was Verfahren wirklich beschleunigen würde

Am besten und schnellsten sind Verwaltungsentscheidungen, gegen die erst gar nicht geklagt wird. Das sind Entscheidungen, die rechtmäßig sind und einen angemessenen Ausgleich der betroffenen Belange erreichen. Dies lässt sich nicht durch einen Ausschluss von Klagerechten und rechtsstaatlicher Kontrolle der Behörden erreichen, sondern erfordert - im Gegenteil - mehr Transparenz, Beteiligung und Kontrolle. Verzögerung entsteht nicht durch gerichtliche Kontrolle, sondern durch Personalmangel in den Genehmigungsbehörden. Ist eine Genehmigung, gerade bei Infrastrukturvorhaben, erst erteilt, ist sie in der Regel sofort vollziehbar und wird auch durch ein laufendes Klageverfahren nicht außer Kraft gesetzt. Ein pauschaler "Vorrang öffentlicher Belange" im Planungsrecht kann zu einer Entwertung von privaten und naturschutzrechtlichen Belangen führen, auch dies ist, gerade in Zeiten der ökologischen Mehrfachkrise, keine verantwortungsvolle Politik sein.

Strafrecht

Die vermeintliche "Zeitenwende" in der inneren Sicherheit entpuppt sich als alter law-and-order-Wein in neuen Schläuchen. Immer mehr Überwachung - Ausweitung der Telefonüberwachung, Einführung der Vorratsdatenspeicherung, mehr Funkzellenabfragen, Quellen-TKÜ, automatisierte Datenanalyse und Gesichtserkennung mit KI - schränken Bürger*innenrechte zunehmend zugunsten nunmehr nicht mehr menschlicher, sondern künstlich intelligenter Überwachung ein. Die Erwartung der Koalition an die Gesellschaft, Bürger*innen sollten "den Sicherheitsbehörden vertrauen" (Rn. 2627), spricht Erfahrungen Betroffener etwa des NSU-Terrors Hohn. Für uns gibt es keinen Anlass, den Sicherheitsbehörden blind zu vertrauen. Sie müssen der demokratischen Kontrolle des Parlaments unterliegen und zu Transparenz verpflichtet werden.

Der Koalitionsvertrag gefährdet die Unschuldsvermutung

Eine im Koalitionsvertrag vereinbarte "Beweislastumkehr" hat im Strafrecht nichts zu suchen, und zwar auch nicht bei der Einziehung von Vermögensgegenständen, deren Herkunft unklar ist; sie ist ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.

Wie jede Koalition will auch diese den strafrechtlichen Schutz von Polizeibeamt*innen verschärfen. Dabei verkennt die Koalition ganz grundlegend, dass es sich hierbei in der Regel um alltägliche Konfliktsituationen handelt, in denen auch Bürger*innen oft traumatisierende Erfahrungen mit der Staatsgewalt machen und die mitnichten einseitige Schuldzuweisungen rechtfertigen. Wenn nun noch der tätliche Angriff, ein erst 2017 eingeführter Straftatbestand, der innerhalb der Strafgerichte umstritten ist, gar eine Regelausweisung zur Folge haben soll, lässt der Polizeistaat grüßen.

Es ist empirisch falsch, wenn die Koalition einfach behauptet, es sei ein Anstieg der Jugendkriminalität zu verzeichnen. Selbst nach der meist eher irreführenden polizeilichen Kriminalitätsstatistik ist das Gegenteil der Fall. Jugendliche brauchen Unterstützungsangebote, Bildung und soziale Sicherheit, keine höheren Strafen.

Demokratische Resilienz

Im Angesicht einer erstarkenden faschistischen Partei wäre es wichtig, zeitnah demokratische Institutionen resilient zu machen und nachhaltig zu schützen. Wenn darunter nur verstanden wird, eine rechtliche Grundlage für die Bundestagspolizei zu schaffen und das Melderecht zu überarbeiten, ist offensichtlich, dass damit kein echter Schutz der demokratischen Institutionen verbunden ist. Wirklich geeignete Mittel und Wege dafür hat unter anderem das Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs längst aufgezeigt, doch davon setzt die Koalition nichts um. Immerhin das NSU-Dokumentationszentrum soll nun doch entstehen, was zwar ein Puzzlestück bei der Aufarbeitung rechter Gewalt, aber bei Weitem nicht ausreichend ist.

Es ist nur mit Ideologie zu erklären im Angesicht der Bedrohung, die durch die AfD und andere rechtsradikale Strukturen für unsere freie und offene Gesellschaft ausgeht, wenn statt einer Bekämpfung menschenfeindlicher Positionen beschlossen wird, eine "Strategie zur konsequenten Verfolgung und Bekämpfung linksextremistisch motivierter Straftaten und Strukturen" zu entwickeln.

Der Schutz in Deutschland lebender Minderheiten soll gefördert werden, was wir natürlich begrüßen. Vergegenwärtigt man sich die Vorhaben in der Migrationspolitik (dazu unten mehr), scheint es sich nur um die Minderheiten mit weißer Hautfarbe zu handeln, während andere ausgewiesen und abgeschoben werden sollen.

Intransparente Pläne zur Transparenz: das IFG

Unter der Unterüberschrift "Stärkung der repräsentativen Demokratie" teilt die kommende Regierung mit, dass sie das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form mit einem Mehrwert für Bürger*innen und Verwaltung reformieren wolle. Das klingt wie ein Oxymoron und lässt weder erwarten, dass hier ein Vorhaben geplant ist, das die Demokratie stärkt noch, dass mit einem Mehrwert an staatlicher Transparenz für Bürger*innen zu rechnen ist. Vielmehr lässt dieser bewusst unklare Satz das Gegenteil erwarten.

Die Umsetzung der SLAPP-Richtlinie ist überfällig und zu begrüßen.

Es ist richtig, das Völkerrecht zu stärken und sich klar zum internationalen Strafgerichtshof zu bekennen. Was nicht dazu passt, sind die Ankündigungen des Kanzlers in spe, einen per Haftbefehl des IStGH Gesuchten nach Deutschland einzuladen und den Haftbefehl zu ignorieren.

Noch mehr Befugnisse für Polizei und Verfassungsschutz

Die Koalition will die Befugnisse der Geheimdienste und anderer Behörden, die sie allerdings nicht nennt, weiter ausbauen (Rn. 2654ff), geplant ist eine "Ausweitung von Übermittlungsbefugnissen und Prüfung von Löschfristen", wodurch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedroht werden kann.

Besorgniserregend wäre ein Rückbau des Datenschutzes zugunsten von Polizei und Verfassungsschutz, wie die, wenn auch schwammig formulierten Sätze befürchten lassen: "Das Spannungsverhältnis zwischen sicherheitspolitischen Erfordernissen und datenschutzrechtlichen Vorgaben muss deshalb neu austariert werden."

Für hochproblematisch halten wir das geplante Gesetz, das erlauben soll, Daten aus der Strafverfolgung der Polizei zu zweckentfremden, um damit neue IT-Produkte zu testen (Rn. 2855).

Flucht und Migration: Chaos und Unrecht sind absehbar

In der Migrationspolitik widerspricht dieser Koalitionsvertrag der Realität und stellt eine Absage an gelingende Migration und den Schutz der Menschenrechte dar. Die darin enthaltenen Nichtlösungen widersprechen dem eklatant, verschwenden gesellschaftliche Ressourcen und führen zu einem enormen Zuwachs an Bürokratie - welche die Koalition ja offiziell abbauen wollte. Statt Recht und Ordnung werden die migrationspolitischen Vorhaben der neuen Koalition Unrecht und Chaos produzieren.

Wenn es heißt, dass die "Anreize, in die Sozialsysteme einzuwandern, [...] deutlich reduziert werden" müssen, ist das AfD-Rhetorik im Wortlaut, statt Politik auf Basis von Fakten: Denn ist es erwiesen, dass Menschen nicht wegen besonders guter Lebensbedingungen, aufgrund von Pull-Faktoren, in den Zielländern fliehen -sondern, weil sie in ihren Herkunftsländern nicht überleben können (aufgrund von Push-Faktoren).

Wenngleich es eingangs heißt, die Koalition wolle, zu ihrer "humanitären Verantwortung" stehen, und das Recht auf Asyl werde "nicht angetastet" werde, sprechen die Vorhaben eine andere Sprache:

Im Zentrum steht Zurückweisung

Im Zentrum steht das Ziel, Migration zu begrenzen: Zunächst durch "Zurückweisungen an den Staatsgrenzen", geplant in "Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn". Selbst wenn die Nachbarn zustimmen: Zurückweisungen an den Grenzen verstoßen gegen das international geltende Refoulment-Verbot und die in der EU geltende Dublin-III-Verordnung [1].

Auch an den europäischen Außengrenzen soll die Abschottung vorangetrieben werden: durch die geplante Stärkung der Grenzschutzagentur Frontex. Schon im Jahr 2023 hatte Frontex ein Budget von 845,4 Mio. Euro, obwohl Frontex Menschenrechtsverletzungen duldet [2], wie in der Vergangenheit mehrfach belegt wurde.

Eine nochmalige Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten ist rechtlich nicht zu begründen, nicht evidenzbasiert und so bloß ein weiteres Instrument reiner Symbolpolitik. Bereits im bestehenden Recht können Asylverfahren im Rahmen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet beschleunigt betrieben werden. Die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsländer will Fakten bei der Abschaffung des individuellen Asylrechts schaffen, indem mit vorgegebenem Ergebnis geprüft wird. Die Praxis zeigt: Die Klassifikation von sicheren Herkunftsländern und die damit einhergehende Einschränkung von Rechtsschutz und Integrationsmöglichkeiten führt vor allem zu höherer Belastung der Verwaltungsgerichte und zu mehr rechtlicher Ausgrenzung.

Die Koalition will auf europäischer Ebene eine Streichung des Verbindungselements im Konzept der sicheren Drittstaaten vorantreiben. Durch diese technische und abstrakte Formulierung öffnen sich, durch die dann erforderliche Änderung der Asylverfahrensrichtlinie, die Türen für einen asylrechtlichen Paradigmenwechsel: Denn damit wird die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten - derzeit bekannt als Ruanda-Modell - möglich gemacht; also in Länder, zu denen die Schutzsuchenden keinerlei Beziehung haben.

Die legale Einreise wird erschwert

Wenn das Aufnahmeprogramm für bedrohte Menschen aus Afghanistan tatsächlich beendet wird, ist das nicht nur ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich in dem Land über Jahre für Menschenrechte und Demokratie eingesetzt, die deutsche Bundeswehr vor Ort unterstützt haben und jetzt der Verfolgung der Taliban ausgesetzt sind. Es wäre auch eine endgültige Verletzung der völkerrechtlichen Schutzpflichten, die die Bundesrepublik gegenüber einem hoch gefährdeten Personenkreis hat.

Zudem soll der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ausgesetzt werden, was vor allem Frauen und Kinder trifft, zum Beispiel aus Afghanistan und Syrien. Doch der Familiennachzug darf kein Gnadenakt sein, den Regierungen mal erlauben, mal aussetzen. Das ist weder mit der Verfassung noch mit der europäischen Grundrechtecharta vereinbar und widerspricht auch dem unionsrechtlichen Gebot der grundsätzlichen Gleichbehandlung von Flüchtlingen, denen der Schutzstatus zuerkannt wurde und Inhabern des subsidiären Schutzes.

Die Aussetzung steht zudem in krassem Widerspruch zu der Aussage, die Koalition wolle die legale Zuwanderung befördern. Für die betroffenen Familien ist dies eine menschliche Katastrophe. Die Ressourcen der hier Angekommenen werden in langjährigen bürokratischen und gerichtlichen Verfahren verschlissen, statt diese in Integration zu investieren. Ein Mehr an Bürokratie und die Zunahme gerichtlicher Verfahren wird die Folge sein.

Gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Hinzu kommt eine verschärfte Politik auch gegenüber denjenigen Menschen, die bereits in Deutschland sind: Durch ein zunächst unscheinbares Vorhaben im Asylverfahren soll aus dem "Amtsermittlungsgrundsatz" der "Beibringungsgrundsatz" werden. Während der "Amtsermittlungsgrundsatz" den Gerichten aufgibt, die Verfolgungswahrscheinlichkeit für eine Klägerin, einen Kläger zu prüfen, verlangt der "Beibringungsgrundsatz" von den einzelnen Menschen, z.B. denjenigen, die einen Asylantrag stellen, alles selbst zu ermitteln und dem Gericht zur Prüfung vorzulegen. Andere Erkenntnisse, die das Gericht etwa über Erkenntnisse der Botschaften, des Auswärtigen Amts oder aus anderen Verfahren hat, werden dann nicht mehr berücksichtigt.

Aus gutem Grund gilt aber im Verwaltungsrecht der Amtsermittlungsgrundsatz. Dies hat gerade auch für das Asylverfahrensrecht zu gelten, wie das Bundesverfassungsrecht betont. Demnach ist gerade dieses Recht ein besonders verfahrensabhängiges Recht. Verfahrensrecht hat hier Verfassungsrang.

Schon jetzt ist in Asylverfahren eine Verlagerung von Exekutive zur Judikative zu beobachten, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge klärt die Sachverhalte regelmäßig nicht ausreichend auf, sondern erst die Gerichte. Dieses Prinzip darf nicht verändert werden. Ein faires Verfahren und effektiver Rechtsschutz werden unmöglich gemacht, wenn Schutzsuchende Pflichten auferlegt bekommen, die sie nicht erfüllen können. Auch das Unionsrecht verlangt eine umfassende Sachverhaltsaufklärung in Hinblick auf die Situation in den Herkunftsstaaten.

Kürzungen gegen die Menschenwürde

Im Leistungsrecht soll an den bestehenden Anspruchseinschränkungen, also an der verfassungswidrigen Kürzungspolitik festgehalten werden. Dies bedeutet eine massenhafte Verletzung des Sozialstaatsgebots und der Menschenwürde. Stattdessen müsste das diskriminierende und rassistische Sonderrecht des Asylbewerberleistungsgesetzes ein für alle Mal abgeschafft werden. Es liegt auf der Hand, dass der komplette Leistungsausschluss europarechtswidrig ist.

Das Bundessozialgericht hat gerade ein Verfahren zur Prüfung der Konformität der Leistungseinschränkungen von Schutzsuchenden beim Europäischen Gerichtshof anhängig gemacht, deren Ergebnis will die Koalition offenbar nicht abwarten, sondern laut Koalitionsvertrag im Gegenteil einen Totalausschluss zu beschließen. Das bedeutet neben dem verheerenden rechtspolitischen Signal ein Zuwachs an Bürokratie und gerichtlichen Verfahren.

Uferlose Ausweitung von Ausweisungen

Die geplante nächste Verschärfung des Ausweisungsrechts beruht bereits auf falschen und rassistischen Prämissen: Indem eine Belastung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes beschrieben und sich hier auf "gewalttätige Stellvertreterkonflikte auf deutschem Boden" und "antisemitische motivierte Straftaten" bezogen wird, wird einmal mehr das Bild gezeichnet, dass Gewalt, Straftaten und Antisemitismus importierte Phänomene seien.

Wenn zudem bereits Widerstand und tätliche Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Regelausweisung führen können, führt dies zu einer uferlosen Ausweitung: So können bereits kleine Konflikte mit der Polizei - die ohnehin in einem asymmetrischen Machtverhältnis stattfinden - zu einem Verlust des Bleiberechts und damit zum Verlust der gesamten Existenz führen. Es muss weiter gelten: Die Prävention und die Sanktionierung von Straftaten darf nicht mit den Mitteln des Migrationsrechts erfolgen. Eine Verschärfung des Ausweisungsrechts ist erst recht abzulehnen.

Unattraktive Regeln für Fachkräfte

Mit der Abschaffung der beschleunigten Einbürgerung nach drei Jahren macht sich dieses Land gerade für diejenigen unattraktiv, die besonders integriert sind und als gut ausgebildete Personen ihren wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Anteil für das Fortkommen dieser Gesellschaft leisten. Hier trägt das alte Abwehrdenken seine Früchte, eine moderne Gesellschaft braucht das Gegenteil, nämlich eine integrative Einladung an alle, die Teil sein wollen.

Der einzige Lichtblick: Dauerhaftes Bleiberecht für wenige

Der einzige, wenn auch kleine, Lichtblick ist das Vorhaben, ein befristetes Bleiberecht für Geduldete anhand einer Stichtagsregelung zu schaffen, wenn die Personen am 31.12.2024 seit mindestens vier Jahren in Deutschland leben. Von dieser, dem Chancenaufenthaltsrecht nach § 104c AufenthG gleichen, Regelung werden einige Menschen profitieren - wenn aber auch viel zu wenige: Um jahrelange Kettenduldungen endlich effektiv zu vermeiden, braucht es weiterhin und endlich eine dauerhafte und stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung.

Klima: Koalitionsvertrag nicht mit Pariser Klimaabkommen vereinbar

Was Klimafragen betrifft, beinhaltet der Koalitionsvertrag schon im Grundsatz einen Widerspruch: So heißt es, man wolle das Pariser Klimaabkommen einhalten (Rn. 899), nachdem zuvor und zuerst auf "die Weltgemeinschaft" verwiesen wurde. Die historische Verantwortung, die Deutschland als reiches Industrieland im globalen Norden mit seinem Anteil an den seit Beginn der Industrialisierung emittierten Treibhausgasen zukommt, wird nicht erwähnt.

Die Ankündigung, erst bis 2045 "klimaneutral" sein zu wollen, ist mit dem Pariser Klimaabkommen und dem verfassungsrechtlichen Klimaschutzgebot in Art. 20a GG offensichtlich nicht vereinbar. So ist das Emissionsbudget zur Einhaltung der 1,5°C-Marke, die nach dem Abkommen von Paris und § 1 Klimaschutzgesetz "möglichst" einzuhalten ist, bereits oder jedenfalls nahezu aufgebraucht. Schon 2024 hat sich gezeigt, dass die mittlere Temperaturzunahme bei 1,5°C angekommen ist. Für die Einhaltung der 1,75°C-Marke bleiben nur noch wenige Jahre, das Emissionsbudget reicht keinesfalls bis zum Jahr 2045.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Klima-Beschluss aus März 2021 festgehalten, dass die Einhaltung der Temperaturgrenzen objektives Verfassungsrecht ist, dass alle Staatsgewalten bindet. Die Bundesregierung muss verbindliche Maßnahmen vorsehen und gesetzliche Regelungen beschließen, um Emissionen wirksam und erheblich zu reduzieren. Hierzu braucht es gesetzliche jährliche Mengenbegrenzungen, die im Fall der Überschreitung mit verbindlichen Rechtsfolgen zur tatsächlichen Emissionsreduktion, wie zum Beispiel die Abschaltung von Anlagen oder Fahrverbote, verbunden sind. Die Zulassung von neuen Industrievorhaben oder die weitere Bodenversiegelung weisen in die falsche Richtung. Die Ankündigung "negativer Emissionen" ist eine Chimäre und kann die notwendige Einhaltung der Emissionsbudgets nicht sichern.

Gewalt gegen Frauen

Gewalt gegen Frauen ist in der Tat ein großes gesellschaftliches Problem und wird zu Recht adressiert. Aber kontrafaktisch einen Anstieg der Gewaltkriminalität im Allgemeinen zu behaupten und die Mindeststrafe bei jeder gefährlichen Körperverletzung auf ein Jahr zu verdoppeln, diese zu einem Verbrechenstatbestand aufzuwerten und damit etwa einem Raub gleichzustellen, wird dem Unrechtsgehalt der allermeisten gefährlichen Körperverletzungen überhaupt nicht gerecht. Nützen tut dies gewaltbetroffenen Frauen nichts.

Die Koalition täte gut daran, hier den Tatgerichten einen Spielraum zu lassen und zuzutrauen, ein gerechtes Strafmaß im Einzelfall zu finden und sich vielmehr dem nach wie vor bestehenden Kapazitätsproblem gerade bei den Organisationen, die sich für gewaltbetroffene Frauen einsetzen, zu widmen. Der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen erfordert ein gesellschaftliches Gesamtkonzept; so müssen beispielsweise auch bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stehen, wenn Frauen partnerschaftlicher Gewalt entfliehen wollen. So findet sich hier aber erneut nur unengagierte Symbolpolitik.

Zu begrüßen sind immerhin verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Gewalttäter. Die von der Koalition geplante elektronische Fußfessel ist umstritten. Klar ist: Derartige Maßnahmen reichen nicht aus, um Frauen besser vor Gewalt zu schützen. Ebenso fehlen verpflichtende Fortbildungen von Polizei und Justiz zum Thema Gewaltschutz, die dringend nötig wären.

Keine Abschaffung: Paragraf 218 wird weiterhin Schwangere kriminalisieren

Auch diese Koalition versäumt es, Frauen das ihnen verfassungsmäßige Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper auch für den Moment der Schwangerschaft zu gewähren, wie es der RAV und viele andere Organisationen seit Jahrzehnten fordern [3]. Der Koalitionsvertrag sieht nicht vor, Paragraf 218 aus dem Strafrecht zu streichen und Schwangerschaftsabbrüche endlich zu einer regulären Gesundheitsleistung zu machen. Das ist mit den Grundsätzen der Gleichstellung der Geschlechter nicht vereinbar und auch im Vergleich zu anderen EU-Ländern nicht zeitgemäß. Zum Vergleich: Frankreich hat das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche kürzlich sogar in die Verfassung aufgenommen. Zwar schreibt die Koalition, sie wolle den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen verbessern, aber nicht, wie.

Mietrecht und Soziales

Im Mietrecht zeigt der Koalitionsvertrag mehr Licht als Schatten. Allerdings bleiben gerade in einem Bereich, in dem die meisten Menschen den Großteil ihres Einkommens aufbringen müssen, viele Dinge zu unkonkret.

Zu begrüßen ist, dass endlich die Zahlung rückständiger Mieten innerhalb der Schonfrist - jedenfalls einmalig - die ordentliche Kündigung abwenden soll. Das hat der RAV lange gefordert [4]. Auch die Verlängerung der Mietpreisbremse und die - allerdings nur schwammig angekündigte - Regulierung von Indexmieten in angespannten Wohnungsmärkten ist richtig. In welche Richtung eine Änderung der Modernisierungsumlage erfolgen soll, bleibt leider völlig offen, sodass man gespannt bleiben darf, wie das "Vermieter-Mieter-Dilemma" aufgelöst werden wird.

Immerhin ist eine Fortsetzung des Deutschlandtickets beschlossen. Ab 2029 aber die Kosten des Tickets, das für viele Nutzende ohnehin schon zu teuer ist, noch zu erhöhen, erweist der Mobilitätswende einen Bärendienst.

Ein vollständiger Leistungsentzug als Sanktion für Bürgergeldbeziehende, wie ihn die Koalition plant (Rn. 515), ist verfassungswidrig.


Anmerkungen:
[1] https://www.rav.de/presse/pressemitteilung/migrationspolitische-stellungnahme-anlaesslich-aber-nicht-nur-der-wahlen-zum-bundestag-1112
[2] https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/stoppt-kinderrechtsverletzungen-an-den-eu-aussengrenzen-815
[3] https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/abtreibung-legalisieren-jetzt-1072
[4] https://www.rav.de/publikationen/rav-infobriefe/infobrief-116-2018/die-verzweiflung-der-instanzgerichte

*

Quelle:
Pressemitteilung vom 10. April 2025
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Telefon: 030.417 235 55, Fax: 030.417 235 57
E-Mail: kontakt@rav.de
Internet: www.rav.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 11. April 2025

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