Christian-Albrechts-Universität zu Kiel - 11.06.2025 15:15
Marine Krankheiten - eine unterschätzte Gefahr für Gesellschaft und Ökosysteme
Krankheitsausbrüche im Meer - die etwa durch Viren, Bakterien oder Parasiten verursacht werden - haben weitreichende Folgen für die Ökosysteme. In der Forschung lag der Fokus daher bisher auf ihrer ökologischen Bedeutung. Die Bewertung der sozial-ökonomischen Auswirkungen für die Gesellschaft war bisher hingegen zweitrangig. In einer kürzlich in der Fachzeitschrift Ocean and Coastal Management veröffentlichten Studie haben Forschende der Uni Kiel und internationale Kolleginnen diese Lücke nun geschlossen und einen erweiterten Ansatz am Beispiel der Austernzucht entwickelt. Dieser berücksichtigt marine Krankheiten als eine Gefahrenquelle für Küstenregionen und deren Bevölkerung.
"Ozean und Gesellschaft sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn marine Krankheiten Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen, hat das immer auch Folgen für den Menschen, sei es gesundheitlich, wirtschaftlich oder kulturell. Für diese Risiken müssen wir vorbereitet sein - nicht nur mit Diagnostik, sondern mit politischen Instrumenten", sagt Erstautorin Dr. Lotta Clara Kluger, von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).
Bewährter Rahmen zur Risikobewertung als Grundlage
Als Grundlage für ihre Studie diente den Forschenden der internationale Bewertungsrahmen des United Nations Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR). Sie adaptierten diesen auf Ausbrüche mariner Krankheiten. Neu ist außerdem die Einbeziehung einer zweiten Analyseebene, auf der die Auswirkungen eines Krankheitsausbruches, etwa das Massensterben von Austern, auf die lokale Gesellschaft oder Wirtschaft betrachtet wird - der sogenannte Spill-Over-Effekt. Die Analyseebenen bilden das Risiko ab, welches nach der Definition des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) als das Produkt von Gefahr (Hazard), Exposition (Exposure) und Verwundbarkeit (Vulnerability) entsteht.
Für ihre Studie nutzen die Forschenden Austernpopulationen als praxisnahes Beispiel. Die im Hinblick auf Infektionskrankheiten am besten untersuchte Muschelarten haben eine hohe kommerzielle und kulturelle Bedeutung für den Menschen, die weit über die Nutzung von Muscheln als Nahrungsmittel hinausgeht. Sie gelten als Ökosystemingenieure, filtern das Wasser und sind zudem nicht auf zusätzliche Fütterungen angewiesen.
Die Auswirkungen mariner Krankheiten auf Austern sind in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen spürbar. In der Aquakultur fallen durch Austernsterben Profite weg oder Behandlungskosten steigen. Kranke Austern wirken sich negativ auf die Gesamtgesundheit eines gesamten Riffs aus, da sie den Nährstoffkreislauf fördern und die Algenblüte kontrollieren. Auch ihre Funktion als Wellenbrecher und ihr Schutz vor Küstenerosion wird durch Erkrankungen eingeschränkt. Für andere Tiere stellen sie Schutz- und Lebensraum oder Nahrungsressource dar und haben somit einen wichtigen Einfluss auf die Fischerei und dessen Wertschöpfungskette. Die Wasserqualität eines Riffes hat zudem Auswirkungen auf den Tourismussektor und Freizeitangebote der betroffenen Region. An bestimmten Orten haben Austern außerdem einen hohen kulturellen Wert, sie gelten als lokales Erbe und sind Teil von Tradition und Geschichte.
Konkrete Strategien zur Risikominimierung sind sowohl auf der ökologischen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene bei den Faktoren der Exposition und der Verwundbarkeit möglich. Für die Austernpopulationen können Züchterinnen und Züchter bestimmte günstige Bedingungen selektieren. Das trifft unter anderem auf die Standortauswahl, eine künstliche Wasserfilterung oder auch Transferbeschränkungen zu. Die Reduzierung der Exposition kann durch die Auswahl einer wenig krankheitsanfälligen Spezies erfolgen. Auf der zweiten Ebene ist die Risikominimierung vor allem von finanzieller Bedeutung: Der Abschluss von Versicherungen, das Erschließen weiterer Einkommensquellen oder die Erweiterung der Produktvielfalt sind Möglichkeiten, dem durch Krankheitsausbrüche entstehenden Schaden entgegenzuwirken.
"Anstatt nur auf Ereignisse zu reagieren, sollten Risiken im Vorhinein erkannt und minimiert werden. Unser Ziel ist es konkrete Instrumente zu liefern, mit denen sich Risiken reduzieren lassen - für Zuchtbetriebe, Gemeinden und politische Entscheidungsträger gleichermaßen. Nur so stärken wir Meeresgesundheit, Ernährungssicherheit und gesellschaftliche Resilienz", so Kluger.
Die neue Studie ist im Projekt "Beyond One Ocean Health (B1OH)"
entstanden, ein internationales, inter- und transdisziplinäres Projekt
im Rahmen der UN Dekade der Ozeanforschung für Nachhaltige Entwicklung
unter Leitung von Prof. Dr. Marie-Catherine Riekhof, Direktorin des
CeOS im CAU-Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science. Noch bis zum
13. Juni findet in Nizza (Frankreich) die dritte Ozean-Konferenz der
Vereinten Nationen (UNOC) statt. Ziel der von Frankreich und Costa
Rica gemeinsam ausgerichteten Konferenz ist es, weltweite Maßnahmen
zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Ozeane, Meere und
Meeresressourcen umzusetzen.
Originalpublikation:
Kluger, L.C., Karstens, S., Lopes, A.F., Kuhn, A., Arzul, I., &
Riekhof, M.C. (2025). Marine diseases as a threat to society: Adopting
and advancing the UNDRR risk framework. Ocean and Coastal Management,
266, 107640.
https://doi.org/10.1016/j.ocecoaman.2025.107640
Weitere Informationen:
https://oceandecade.org/actions/beyond-one-ocean-health/
(über das Projekt BeyondOneOceanHealth)
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
https://idw-online.de/de/institution235
Homepage: https://www.uni-kiel.de
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel - 11.06.2025 15:15
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 27. Juni 2025
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