Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

RESSOURCEN/133: Neodym-Abbau - Verkürzte Kritik an umweltschädlichen Windrädern (SB)


Kritik an modernen Windrädern greift zu kurz

Filmemacher blenden die Voraussetzungen von und damit die eigene Beteiligung an Umweltzerstörungen in China aus


Kürzlich brachten der NDR in der Fernsehreihe "Menschen und Schlagzeilen" und die ARD in der Sendung "Panorama" einen Beitrag über "katastrophale Umweltzerstörungen in China" als Folge der Produktion von Windrädern [1]. Moderne Anlagen kämen ohne Getriebe aus, verwendeten aber die Seltene Erde Neodym, wurde in dem Beitrag erklärt. Das Element werde in einer Mine in der Inneren Mongolei abgebaut und trage zur Verseuchung von Land und Leuten bei. Bei der Neodymförderung werde auch das Element Thorium, das radioaktiv sei, ans Tageslicht geholt. Ein chinesischer Bauer berichtete in dem Beitrag von den gesundheitsschädlichen Auswirkungen der Rohstofförderung und daß das Wasser aus den zehn Brunnen seines Dorfes wegen der Umweltverschmutzungen ungenießbar geworden sei.

Zweifellos gehen mit dem Abbau Seltener Erden in der riesigen Bayan-Obo-Mine bei Baotou enorme Umweltverschmutzungen einher. Darauf aufmerksam zu machen, kann nicht verkehrt sein. Allerdings zeichneten sich die Filmemacher durch einen ausgesprochen beschränkten Blick aus, indem sie ihre Kritik lediglich gegen Windradhersteller richteten, die Neodym für die Anlagen verwendeten.

Hochwahrscheinlich enthielt selbst das Mikrofon, das besagtem chinesischen Bauern sowie Vertretern der Windenergiebranche entgegengestreckt wurde, Neodym aus China. Dieses Element wird immer mehr verwendet, denn es stellt hervorragende magnetische Eigenschaften zur Verfügung. Deshalb gäbe es gute Gründe, die Windkraftanlagen, die ohne Getriebe auskommen, da sie Neodym-Magneten enthalten, als umweltfreundlicher als die Getriebe-Windräder zu bezeichnen, da sie effizientere "Windfänger" sind. Die Neodym-Windräder produzieren im Unterschied zu den Windrädern mit Getriebe schon bei relativ geringen Windgeschwindigkeiten elektrischen Strom, zudem geht jedes verwendete Getrieberad mit einem Verlust des Wirkungsgrads einher.

Darüber hinaus sind Neodym-Windräder insgesamt leichter (auch wenn die Generatorengröße zunimmt), sie benötigen daher weniger Transportaufwand und ersparen sich das Material fürs Getriebe. Auch deshalb wären sie als umweltfreundlicher zu bezeichnen, zumindest im Verhältnis zu vielen handelsüblichen Alternativen. Die Frage des NDR-Journalisten an den Sprecher eines Windanlagenunternehmens, warum sie nicht auf Neodym verzichteten, das täte die Konkurrenz ja auch, wäre mit einer Gegenfrage zu beantworten: Warum verzichten Sie als Journalist nicht auf Ihr Mikrofon, auf Ihren Laptop, auf das Smartphone oder die Untersuchung Ihres Gesundheitszustands mit Hilfe eines Computertomographen? All diese Produkte und viele mehr [2] enthalten Neodym. Das wird zu über 95 Prozent in China abgebaut, unter Zerstörung der Umwelt, begleitet von Gesundheitsschäden bei der örtlichen Bevölkerung. Der vergleichsweise hohe Lebensstandard in Deutschland gründet sich unübersehbar auf das Leid anderer.

China ist nicht einfach nur die Werkbank der ganzen Welt, sondern muß seine hohe Produktivität - und was zählt mehr im kapitalistischen Verwertungssystem als Produktivität - mit einer schlechten CO2-Bilanz sowie schwerwiegenden Zerstörungen der Landschaft, schmutziger Luft und kontaminierten Gewässern sowie einer ruinösen Gesundheit vieler Einwohner bezahlen. Deshalb ist Neodym, das hier stellvertretend für die Lanthanoiden - so werden die Seltenen Erden im Periodensystem der Elemente kategorisiert - steht, vergleichsweise preiswert. Jahrelang hat es in den westlichen Industriegesellschaften kaum jemanden gekümmert, daß China nur deshalb Waren so billig für den westlichen Konsum produzieren konnte, weil erstens die chinesischen Arbeiterinnen und Arbeiter Hungerlöhne erhalten und zweitens Luft, Wasser, Vegetation und Böden mit allerlei Umweltgiften verseucht werden. Erst seitdem China zu einem ernsthaften Wirtschaftskonkurrenten aufgestiegen ist, fällt den Medienvertretern und Institutionen hierzulande vermehrt auf, daß "die Werkbank der Welt" Umweltzerstörungen anrichtet. Das tut sie jedoch vornehmlich für den Verbrauch in der westlichen Welt.

Vorwürfe an China, es zerstöre die Umwelt, sind nicht weniger strategisch intendiert als umgekehrt Chinas jüngste Rohstoffinitiative, derzufolge es den Export Seltener Erden zurückfahren und statt dessen die heimische Verarbeitung dieser Erze hochfahren will. Mögen die NDR/ARD-Reporter mit ihrer Kritik an bestimmten Windradherstellern auch etwas anderes beabsichtigt haben, sie geraten automatisch in das breite Fahrwasser einer letztlich gegen China gerichteten Bezichtungsschiene. Läßt man jedoch den Aspekt der globalen Konkurrenz der Nationalstaaten völlig beiseite, dann haben sie unter Umweltgesichtspunkten eine unvollständige Arbeit abgeliefert. Die getriebelosen Windräder, für die Neodym-Starkmagneten verwendet werden, sind nicht unbedingt umweltschädlicher als die Windräder, die Getriebe enthalten; möglicherweise trifft sogar das Gegenteil zu, das wäre eine Frage der Gewichtung der verschiedenen Faktoren. Abgesehen von den bereits oben erwähnten Gründen muß bedacht werden, daß die Getriebe von allen Teilen der Windanlage den größten Wartungsaufwand erfordern. Beispielsweise mußte der weltgrößte Windradhersteller Vestas aus Dänemark sämtliche Getriebe der 30 Anlagen des britischen Windparks Kentish Flats auswechseln - nach nur zwei Jahren Betriebsdauer!

Die Reporter, die in dem Fernsehbeitrag über die seit längerem bekannte Umweltzerstörung durch die Bayan-Obo-Tagebaumine nahe der Zwei-Millionen-Stadt Baotou berichteten, machen es sich recht einfach, wenn sie unerwähnt lassen, daß die Mine das "Zentrum der internationalen Hightech-Industrie" ist, wie es Matthias von Hein im Deutschlandradio formulierte [3]. Noch treffender wäre es sogar, die Bayan-Obo-Mine als "das Herz" der globalen Industriegesellschaft zu bezeichnen, ohne das der Puls der Welt heute anders schlagen würde. Seltene Erden sind nicht selten, ihr Abbau hat sich lange Zeit nicht gelohnt, insbesondere deshalb wurde die unattraktive "Drecksarbeit" der Volksrepublik China überlassen. Bei einem höheren Preis für Neodym und andere Seltene Erden wären auch die Endprodukte teurer. Das wäre zwar wahrscheinlich kein prinzipielles Hindernis für den Massenkonsum von Smarthphones, etc. gewesen, legte deren Verbreitungsgeschwindigkeit aber Zügel an.

Bei der Förderung des Neodyms werde radioaktives Thorium freigesetzt, warnten die Fernsehreporter. Sind Windräder somit Quellen einer Strahlenbelastung in den Abbaugebieten Chinas? Ja, aber auch diese Aussage verkürzt das Problem. Denn für die vermeintlichen Alternativen gilt das gleiche. Atomkraftwerke, das ist keine Frage, geben selbst im Normalbetrieb, zum Beispiel beim Auswechseln der Brennelemente, Radioaktivität ab. Kohlekraftwerke ebenfalls. Moderne Anlagen verfügen zwar über Filter, aber die vermögen die radioaktiven Teilchen, die in der Kohle enthalten sind, nicht vollständig abzufangen, wie Dirk Jensen von der Umweltschutzorganisation BUND darstellte [4]. Bei der Förderung von Erdgas und Erdöl werden sogenannten NORM-Partikel an die Oberfläche gebracht. Darauf machte im vergangenen Jahr der Rundfunkjournalist Jürgen Döschner aufmerksam [5]. Ähnliches gilt auch für die Gewinnung von sogenanntem unkonventionellem Erdgas, das mit Hilfe eines Fracking genannten Verfahrens teils aus mehreren Kilometern Tiefe gefördert wird [6]. Und Biomasse? Auch sie kann radioaktive Substanzen enthalten, was keineswegs nur auf die bekannten stark verstrahlten Regionen rundum das Akw Tschernobyl oder den russischen Nuklearkomplex Majak zutrifft [7], sondern auch für "normale" Wälder Nordamerikas gilt, die dem Fallout der oberirdischen Atombombentests ausgesetzt waren [8].

Überall da, wo Material aus tiefen geologischen Gesteinsschichten nach oben gefördert wird, muß damit gerechnet werden, daß dabei radioaktive Substanzen aus den geologischen Schichten enthalten sind. Das gilt für die oben genannten Energieträger ebenso wie für Rohstoffe, die gebraucht werden, um Energie zu produzieren, beispielsweise Neodym für die Magneten von Windrädern.

Sicherlich könnte aus spezifischen Umweltschutzgründen auf Neodym verzichtet werden - doch konsequenterweise müßte man auch auf alle anderen Seltenen Erden verzichten, die in Chinas Bayan-Obo-Mine abgebaut werden. Auf sämtliche Seltene Erden wiederum könnte ebenfalls verzichtet werden - doch konsequenterweise müßte man dann den zerstörerischen Abbau von anderen Rohstoffen rund um den Globus aufgeben. Generell könnte man sich den Betrieb von Windrädern ersparen, aber dann müßte man folgerichtig auch auf Sonnenenergie, Wasserkraft, Biogas, konventionelles und unkonventionelles Erdgas, Erdöl, Uran und all die übrigen regenerativen oder endlichen Energieträger verzichten. Sie alle verursachen Umweltzerstörungen, was insofern nicht überrascht, als daß Energie Inbegriff für Zerstörung ist. Gemeint ist mit Energie eigentlich immer Exergie, da die Energie verloren geht.

Materialien wie Uran, Erdöl, Erdgas gelten deshalb als Träger von Energie, weil sie unter bestimmten, vermeintlich kontrollierten Bedingungen unter hohen Verlusten Wärme (auch in der konzentrierten Anregungsform des elektrischen Stroms) erzeugen. Wind- und Sonnenenergie, die nicht eigens produziert werden müssen, bedürfen jedoch zwingend technologischer Voraussetzungen, die herzustellen wiederum Energie bzw. Exergie erfordert. Stellte man eine Energiebilanz für die Herstellung von Energietechnologien - in diesem Fall eines Windrads - auf und berücksichtigte dabei auch die weit verzweigten Produktionsketten vom Rohstoffabbau über Herstellung und Betrieb bis zur Entsorgung, würde sich der erhoffte Energiegewinn womöglich als -verlust darstellen.

Die Umweltverseuchungen in China durch die Förderung von Neodym für die Energieproduktion mittels Windrädern zeigen nur einen winzigen Ausschnitt einer im Kern auf Destruktion errichteten Weltindustrie.


*


Anmerkungen:

[1] "Neodym: Das schmutzige Geheimnis sauberer Windräder", Sendungen: "Menschen und Schlagzeilen", Mi., 27. April, 21.00 Uhr, NDR Fernsehen; "Panorama", Do., 28. April, 21.45 Uhr, Das Erste
http://www.ndr.de/unternehmen/presse/pressemitteilungen/pressemeldungndr8137.html

[2] Überall da, wo dauerhaft starke Magnete gebraucht werden, die wenig Raum beanspruchen und nicht wärmeempfindlich sind, wird gerne Neodym eingesetzt. Hier eine Auswahl: Computertomographen, Elektroautos, Fahrstuhlantriebe, Fensterheber, Leiterplatten, Mikrophone, Servolenkungen, Smartphones, Stromzähler, Turbinen, Windräder, Zahnarztbohrer.

[3] "Ohne Neodym keine Starkmagneten" in der Serie "Industriemetalle - Achilles-Ferse der deutschen Wirtschaft?", Teil 2, Von Matthias von Hein, 17. August 2010
http://www.dradio.de/aktuell/

[4] "Radioaktivität aus Kohlekraftwerken", Dirk Jansen, BUND NRW
http://www.bund-nrw.de/fileadmin/bundgruppen/bcmslvnrw/PDF_Dateien/Themen_und_Projekte/Energie_und_Klima/Kohlekraftwerke/BUNDhintergrund_Radioaktivitaet_aus_Kohlekraftwerken_11_2008.pdf

[5] "Verschwiegen, vertuscht und verheimlicht - Radioaktive Abfälle aus der Öl- und Gasindustrie", Jürgen Döschner, NDR Info, Das Forum, 12. Januar 2010. Skript am 3.5.2011 abgerufen von:
http://uelzen.bund.net/fileadmin/bundgruppen/bcmskguelzen/dateien/presseartikel/strahlenmuell_aus_oel_und_gas.pdf

[6] "Wastewater Recycling No Cure-All in Gas Process", New York Times, 1. März 2011
http://www.nytimes.com/2011/03/02/us/02gas.html?sq=fracking%20%20radioactive&st=nyt&scp=3&pagewanted=print

[7] "Forest fires around Chernobyl could release radiation, scientists warn", The Guardian, 26. April 2011
http://www.guardian.co.uk/environment/2011/apr/26/chernobyl-radioactive-fires-global-danger

[8] Dazu hat u.a. der US-Wissenschaftler Stewart Farber geforscht. Nachzulesen beispielsweise hier:
http://www.greenfieldbiomass.info/uploads/Letter_Woodash_issue_061509.doc

3. Mai 2011